Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 19.) 185 
vor einigen Jahren contingentirt worden, die Einkommenstener aber, welche 
naturgemäß bestimmt ist, Mehrerfordernisse zu beschaffen und Minderbedürf- 
nisse zu berücksichtigen, ist variabel, aber nur in ungünstigem Sinne; sie 
sinkt bei der wirthschaftlichen Krise und vergrößert somit das Desicit, weil 
sie eben nicht die Stelle einer Ergänzungssteuer einnimmt. Dieses Miß- 
verhältniß ist um jo unerträglicher, je mehr der preußische Staat im Uebrigen 
auf den Ertrag seiner Großindustrien, seiner Eisenbahnen, Bergwerke und 
Forsten angewiesen ist. In finanziell bedrängten Zeiten sinken nalurgemäß 
die Erträge sieier Industrien und beeinträchtigen das Gleichgewicht in den 
Finanzen. Die Eröffnungsrede constatirt die Störung des Gleichgewichts; 
aber sie enthält auch nicht die leiseste Andeutung einer Abhilfe. Sie sagt 
nur: die Mittel zur Beseitigung des Deficits, welches sich im Extraordinarium 
auf die Summe von ungefähr 70 Mill. Mark beläuft, würden auf dem dem 
Reich überwiesenen Gebiete der Besteuerung und der Zölle und indirecten 
Steuern zu suchen und, wie die Staatsregierung fest vertraut, auch zu finden 
sein. Aber wenn dieß der Fall ist, so kann, sobald die wirthschaftliche Lage 
sich bessert, der breupische Slaatshaushalt ebenso an Ueberfluß leiden wie 
jetzt an Mehrbedarf. Die directen Ficern werden nicht abgemessen werden können 
nach dem wirklichen Bedarf. Wird die Einkommenstener richtig und unter 
Schonung der kleinen Einkommen veranlagt, so würde sie gerade geeiguet sein, 
in ungünsligen Zeiten das Desiieit Zu vermeiden, und die Steuerzahler würden 
vorübergehend die schwererr 4 Last nicht nur tragen können, sondern auch 
willig ertragen, wenn sie wissen, daß ihr Beitrag in günstigeren Zeiten ent- 
sprechend ver.nindert wird. — In Betreff der beabsichtigten Verändernn- 
gen in den Ministerialressorts bestätigt die Throurede, anderweitigen 
staatsrechtlichen Auffassungen gegenüber, daß dieselben der Beschlußfassung 
des Landtags soweit unterstellt werden, als durch jene Veränderungen die 
anderweitige Regelung einzelner gesetzlicher Competenzbestimmungen bedingt 
ist. Ueber die Frage der ferneren Fortführung der Verwaltungsreform 
hatte sich die Regierung seit dem Eintritt der Grafen Stolberg und Eulen- 
burg in das Cabinet noch nicht wieder ausgesprochen; indessen überrascht 
es Niemanden, im Gegensatz gegen frühere Erklärungen des vorjährigen 
interimistischen Leiters des Departements der inneren Verwaltung, nunmehr 
zu vernehmen, daß in Folge anderer unmittelbar dringlicher Aufgaben die 
Durchführung des bedeutsamen Reformwerkes während der jetzt eröffneten 
Seision keine Fortschritte zu erwarten hat. Ebensowenig war schon aus 
sinanziellen Gründen für dießmal die Vorlegung des Unterrichtsgesetzes 
zu erhoffen; man hört jetzt sogar bestätigen, daß die weiteren Berathungen 
derselben im Laufe des letzten Jahres nicht zum Abschluß gekommen sind. 
Die vielbestrittene Frage der weiteren Erwerbung von Privatbahnen 
für den Staat und des Baues neuer Linien wird dahin entschieden, daß die 
Absicht „einer kräftigen Zusammenfassung und Ordnung des Eisenbahnwesens 
und der Ergän änzung des Eisenbahnnetzes“ forlbesteht und eine Vorlage an den 
Landtag in Betreff des Ankanfs wichtiger Actienbahnen und des Baues 
einiger dringlichen neuen Linien nur von dem Abschluß der Vorarbeiten für 
abhängig erklärt wird. 
Die Regierung macht dem Landtage eine Reihe von Vorlagen. Die 
Ansicht macht sich indeß von vorneherein geltend, daß die Verathung des 
Budgets und der Grsetze behufs Einführung der Reichsjustizgesetzgebung leicht 
die ganze Dauer der Session ausfüllen könnte und daher von allen übrigen 
Vorlagen kaum die eine oder die andere zur Erledigung kommen werde. 
Herrenhaus: Wahl des Bureaus: der bisherige Vizepräsident 
v. Bernukh wird durch den Grafen Arnim-Boitzenburg ersetzt. 
 
	        
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