194 Dae beulsche Reitz und seine rinzelnen Glitder. (Der. 9.)
Menschliche Vorsicht ist gegen Dinge, wie sie mir zustießen, unmächtig.
Eine Aenderung der Gesehe ist nothwendig geworden. Wie nothwendig diese
Aenderung für Teutschland und dessen einzelne Staaten war, liegt jetzt wohl
allen vor Augen; aber auch für die anderen Staalen ist dadurch eine An-
regung gegeben. Ist ja doch bewiesen, daß weit verzweigte Verbindungen
existiren, und zwar mit dem ausgesprochenen Princip die Häupter der
Staaten zu beseitigen. Die Hauptsache aber ist, wie Sie in der Adresse
richtig bemerkten, die Erziehung der Ingend; hier gilt es, die Augen offen
zu halten. Das ist Ihre Aufgabe, die Herzen der Jugend so zu lenken, daß
solche Gesinnungen nicht wieder aufwachsen. Und dabei ist das wichtigste
die Religion. Die religiöse Erziehung muß noch viel tiefer und ernsler ge-
saßt werden. In dieser Beziehung ist auch in unserer Stadt nicht alles gut
bestellt. Ich dankle Ihnen nochmals für die in der Adresse kundgegebenen
Gesinnungen, welche ich durch meinen Empfang bestätigt gejunden, und bitte
Sie, was ich gesagt, möglichst weiten Rreisen mitzutheilen.“
9. December. (Preußen.) Abg.-Haus: Budgetberathung,
Ctat des Ministeriums des Innern: Virchow frägt an, ob der
Minister die Beweggründe für Verhängung des lkleinen Belagerungs-
zustandes über Verlin darzulegen geneigt sei. Graf Eulenburg er-
klärt sich dazu bereit und sagt:
„Voraussetzung zur Amvendung des § 28 ist das Vorhandensein einer
Bedrohung der öffenklichen Ordnung und Shergeie Die Gefahr braucht
keine unmittelbare zu sein, braucht auch nicht ausschließlich Zu bestehen in
der Befürchtung, daß ein Aufruhr bevorsteht. Es gibt auch andere Gefahren,
und solche bestehen allerdings für Verlin und Umgegend. Die Gefahr ist
tmuächst eine allgemeine: das Vorhandensein einer überaus großen Zahl von
Anhängern der Sozialdemokratie, die Gegenwart zahlreicher Agitatoren,
tumultuarische Versammlungen und Aufzüge. Bereits nach den Attentaten
hatte man an ähnliche Maßnahmen, ja Verhängung des Kriegszustandes
über Verlin gedacht; man wollte indessen zunächst die Wirkung des Sozia-
listengesetzes abwarten. Sofort nach Erlaß desfelben wurde es Jur Anwen-
dung gebracht. Leider aber beslötigte sich die Hoffnung auf friedliche Unter-
werfung der Sozialdemokratie unter das Gesey nicht. Es traten Anzeichen
einer Organisation hervor, welche darauf gerichtet war, das Gesetz zu um-
gehen und geheime Propaganda zu machen. Zu dieser allgemeinen trat noch
eine besondere Veranlassung für die Regierung hinzu, energischer vorzugehen.
Mir leben in einer Zeit, in der das Leben aller enropäischen Fürsten be-
droht scheint; wir haben das in Berlin, Madrid und Neapel erlebt. Hierzu
kam, daß wir in Berlin Nihilisten trafen, die vom Auelande gekommen
waren und in Verbindung mit fiesigen Sozialdemokraten standen. Dieß
war der Anlaß für die Regierung, vorzugehen, wie sie vorgegangen ist. Sie
munte die Schule des Verbrechens schließen und konnte dieß nur thun, in-
dem sie die Lehrmeister beseitigte, welche in dieser Schule thätig waren.
Mit Ihnen, mit dem Lande und mit dieser Stadt bedauerk die Negierung
anfrichtig, zu den Maßregeln zu greifen genöthigt zu sein; allein die Re-
gierung haite die Pflicht, weiteren Gefahren vorzubengen, und sie kann da-
für die volle Verantwortlichkeit tragen. Sie durfte nichts versänmen, was
geeignet war, den öffentlichen Frieden, die Ordnung dieser Stadt und das
vor Allem theure Leben zu sichern, welches seit Kurzem dieser Stadt wieder
anvertraut ist. Wir konnten diese Verantwortung nicht von uns weisen,
ebenso wenig wie das preußische Volk und vor Allem die Einwohnerschaft