Vas deulsche Reich und seine rinzelnen Glieder. (Dec. 15.) 200
den C Lonsumenten befürchtet zu werden pflegt, bei geringen Zöllen voraus-
sichtlich nicht eintreten, wie ja auch umgekehrt nach Aufhebung der Mahl-
und Schlachtsteuer die Brod- und Fleischpreise in den früher davon betroffenen
Gemeinden nicht in einer bemerkbaren Weise zurückgegangen sind. Eigent-
liche Finanzzölle, welche auf Gegenstände gelegt sind, die im Inlande nicht
vorkommen und deren Einfuhr unentbehrlich ist, werden zum Theil den In-
länder allein treffen. Bei Artikeln dagegen, welche das Inland in einer für
den einheimischen Verbrauch ausreichenden Menge und Beschaffenheit zu
erzeugen im Stande ist, wird der ausländische Producent den Zoll allein zu
tragen haben, um auf dem deutschen Markle noch concurriren zu können.
In solchen Fällen endlich, in denen ein Theil des inländischen Bedarfs durch
auswärtige Zufuhr gedeckt werden muß, wird der ausländische Coneurrent
meist genöthigt sein, wenigstens einen Theil und oft das Ganze des Zolle
zu übernehmen und seinen bisherigen Gewinn um diesen Betkrag zu vuer-
mindern. Daß Grenzzölle auf solche Gegenstände, welche auch im Inlande
erzeugt werden, den ausländischen Producenten für das finanzielle Ergebniß
mit heranziehen, geht aus dem Interesse hervor, welches überall das Aus-
land gegen Einführung und Erhöhung derartiger Grenzgölle in irgend einem
Gebiete an den Tag legt. Wenn im praktischen Leben wirklich der inlän-
dische Consument es wäre, dem der erhöhte Zoll zur Last jällt, so würde die
Erhöhmung dem ausländischen Prodncenten gleichgültiger sein. Soweit hie-
nach der Zoll dem inländischen Consumenten i7ePbaun zur Last fällt, triit
er hinter den sonstigen Verhältnissen, welche auf die Höhe der Waarenpreise
von Einfluß sind, in der Regel weit zurück. Gegenüber der Preisschwankung,
welche bei bestimmten Waarengattungen durch den Wechsel im Berhältniß
von Angebot und Nachfrage oft binnen kurzer Zeit und bei geringer örtlicher
Entfernung der Marktplähe von einander bedingt wird, kann ein Zoll, der
etwa 5 bis 10 Procent vom Werthe der Waare beträgt, nur einen verhäll-
nißmäßig geringen Einfluß auf den Kaufpreis üben. Andere Momente, wie
die Ungleichheiten der Frachtsätze bei den Differentialtarifen der Eisenbahnen,
wirken in dieser Be jiehung viel einschneidender, vermöge der Einfuhrprämie,
die sie dem Tuszlard, oft zum vielfachen Belrage jedes vom Neich aufzu-
legenden Zolles, auf Kosten der deutichen Production gewähren. Ich bin
deßhalb auch der Ueberzeugung, daß mit der Revision der Grenzzölle eine
Revision der Eisenbahntarife nothwendig Hand in Hand gehen muß. Es
laun auf die Dauer den einzelnen Staats= und Privat-Eisenbahnverwaltungen
nicht die Berechtigung verbleiben, der wirthschaftlichen Gesetzgebung des
Reiches nach eigenem Ermessen Concurrenz zu machen, die Handelspolitik der
verbündeten Regierungen und des Neichstags nach Willkür zu neutralisiren
und das wirthschaftliche Leben der Nation den Schwankungen auszusetzen,
welche im Gefolge hoher und wechseluder Einfuhrprämien für einzelne
Gegenstände nothwendig eintreten. Die Rückkehr zu dem Princip der all-
gemeinen Zollpflicht entspricht der jebigen Lage unserer handelspolitischen
Verhältnisse. Nachdem der Versuch mit Oesterreich= Ungarn, einen neuen
Tarifvertrag zu vereinbaren, beziehungsweise den bisherigen zu prolongiren,
gescheitert ist, sind wir (abgesehen von den in den Verträgen mit Belgien
und der Schweigz enthaltenen Tarifbestimmungen) in das Recht selbständiger
Gestaltung unseres Zolltarifs wieder eingetreten. Bei der bevorstehenden
Nevision des Zolltarifs tann nur unser eigenes Interesse maßgebend sein.
Dieses Interesse wird vielleicht demnächst zu neuen Verhaudlungen über
Tarifverträge mit dem Auslande führen. Sollen aber solche Verhandlungen
mit der Aussicht auf einen für Deutschland glücklichen Erfolg begonnen
werden, so ist es nöthig, vorher auf dem autonomen Weg ein Zollsystem zu
schaffen, welches die gesammte inländische Production der ansländischen
Schulthess, Curop. Geschichtelalender. XIX. M. 14