224 Die Oeklerreichisch-Angorische Monarchie. (März 9.)
andere. Nach meiner Auffassung dürste sich die Gesammtsituation auf dem
Congresse in einem anderen, weniger benuruhigenden Lichte zeigen. Rußland
hat wiederholt erklärt, daß es das Schwert nicht zu selbstsüchtigen Zwecken,
sondern zur Verbesserung des Looses der Christen im Orient ziehe. Dieses
Ziel und der militärische Erfolg des Krieges bleiben außer
Frage. Alles, was wir verlangen und verlangen müssen, ist, daß diese Re-
allate so begrenzt werden, daß dadurch weder unsere noch europäische In-
teressen geschädigt erscheinen. Das Recht Europa's und sein hanbtsächlichstes
Interese besteht darin, daß dasjenige, was dem Kriege folgt, der Friede jei,
nicht aber ein Zustand, der schon den Keim neuer Complicationen in 4
buchen würde; daß das Resultat die möglichst befriedigende Lösung der Orient-
frage, nicht' aber eine VBerschiebung der Machtverhältnisse in
Enropa sei. Die factischen Ergebnisse der Kriegführung mit diesem Stand-
punkte in Einklang zu bringen, betrachte ich als die Aufgabe des europäischen
Congresses. Dieß ist ebenso russisches wie europäisches Interesse. Um sich
hierüber klar zu sein, muß man die Schwierigkeiten der Aufgabe ins Auge
faisen, die Rußland unternommen hat. Es gibt Aufgaben, ghelhe auch die
get Kraft schwer zu lösen vermag. Als solche betrachte ich es, die eine
Hälfte eines erschülternden Gebändes niederzureißen, ohne das
Ganze der Gefahr des Zusammensturzes auszusetzen. Man schmilzt
im Hochofen das starre Erz, um es in eine Form zu gießen. Ich sehe im
Orient nur das „glühende Metall, aber bei Weitem noch kein Modell, um es
in die richtige Form zu bringen. Wenn wir heute annehmen würden, daß
dasjenige, was zwischen dem russischen Hauptauartier und der Türkei vor-
läufig vereinbart wurde, ganz und gar in der beabsichtigten F Form in's Leben
träte, so wüßten wir erst, wie die eine Hälfte der Türlei aussehen würde,
aber durchaus Qnicht, wie sich dem gegenüber die audere gestalten soll. Es
enlstehen die Fragen: auf welches Maß kann die Türkei reduzirt
werden, um auf weiteren Bestand Aussicht zu bieten? Wenn dem
einen Theile der Christen durch Neugestallungen ein besseres Loos gesichert
wird, wie kann ein gleiches den anderen Christen im Orient geschaffen werden?
Worin hätte die Garantie für die Turchführung solcher Verbesserungen in
den auderen Theilen zu bestehen: Diese Fragen können nicht umgangen
werden, und der Staat, der sich zuerst an die Löjung derselben gemacht, hat
leine beueidenswerlhe Arbeit übernommen. Die Schwierigkeiten derselben
sind so riesig, daß sie ganz Europa zusammen nur im Einvernehmen durch-
führen kann. Daß eine einzelne Macht ohne die Unterstühmung der anderen
oder gegen ihren Willen dieje Aufgaben löse, erscheint mir ausgeschlossen.
Der Staat, der alle diese Fragen nach eigenem Gutdünken regeln wollte,
müßte gegenüber dem übrigen Europa auf eine Coalition zu diesem Zwecke
rechnen können; eine solche aber existirt nicht. Von einem definitiv geschaf-
senen Zustande, von in sich selbst. vollendeten Thatsachen, von einem „Zu
spät!“ für den Einfluß Europa's können also nur diejenigen reden, wolche
die Verhältuisse des Orients nicht praktisch erwägen. Friedlich kann der
Complex der obschwebenden Fragen nur mit ganz Europa gelöst werden.
Rußland hat die Berechtigung der Signatarmächte in keiner Weise in Frage
Lestellt, und es ist sein spezielles Interesse, nicht Gut und Blut für Dinge
geopfert zu haben, die nicht die Garantie der Stabilität in sich trügen und
denen Curopa die Anerkennung versagen müßte. Aus allen diesen Gründen
ist die Hoffnung berechtigt, daß die Berathungen der Mächte zu einem euro-
Fäschen, Einverständnisse führen werden. Mit dieser Hoffnung geht die
k. und k. Regierung dem europäischen Congresse entgegen. Sie betrachtet
nach —8 vor als ihre Aufgabe, die Aufrechterhaltung des Friedens anzu-
steben, zugleich aber für die Wahrung der österreichisch-ungarischen und der