244 Die Oesterreichisch-Angarische Monarchie. (Oct. 2)
decken, und daß er sich außer Stande fühle, selbst für das Erfordernih der
nächsten zwei Monate die auf Ungarn entfallende Quote durch ein Anlehen
aufzubringen. Er erklärte weiter, daß nur im Wege einer gemeinsamen An-
leihe das Erforderniß gedeckt. werden lönne. Dieser Anschauung Szell's trat
auch das ungarische Ministerium bei, welches darauf hinwies, daß verfassungs-
mäßig die Aufnahme gemeinsamer Anleihen für gemeinsame Zwecke vor-
bedacht sei. Allein dieser Plan fand an dem österreichischen Finanzminister
einen Gegner. Am Schlusse der n Audienz, welche Szell beim Kaiser hatte,
erklärte derselbe, daß er seine Dimission aufrecht erhalte. Graf Andrassy
steht bezüglich der Frage der Aufnahme einer gemeinsamen Anleihe sowohl
als bezüglich der Absicht des ungarischen Ministeriums, die Occupationskosten
zu begrenzen, auf Seite des ungarischen Ministeriums, und auch der Kaiser
hat sich dem ungarischen Finanzminister gegenüber in ähnlichem Sinn und
für ein gemeinsames Anlehen ausgesprochen. Das österreichische Ministerium
hat auch bereits über die officielle Acußerung in dieser Frage berathen, und
es ist zweifellos, daß es mit Rücksicht auf die Stimmung des Neichsraths
unter allen Umständen auf seiner Anschauung in dieser Frage beharren wird.
Es ist nicht uumöglich, daß in Folge dessen der Versuch gemacht wird, ein
anderes Ministerium zu bilden; aber es dürfte sich nicht leicht jemand be-
reit finden, im österreichischen Neichsralh für den ungarischen Wunsch, daß
die Occupationskosten durch eine gemeinsame Anleihe gedeckt werden, ein-
3ustehen.
(Ungarn.) Der Finanzminister v. Szell erhält vom Kaiser
seine definitive Entlassung; Tisza und die übrigen Minister lassen
sich dagegen herbei, die Geschäfte wenigstens provisorisch fortzuführen.
Die Minislerkrisis ist damit für Ungarn, wie es schon bisher mit
Oesterreich der Fall war, vertagt, indem gehofft wird, daß Tisza sich
schließlich mit Andrassy verständigen und dann auch das ungarische
Parlament für die bosnische Polilik gewinnen werde.
2. October. (Oesterreich: Böhmen, Oberösterreich, Steier-
mark, Galizien.) Landtage: böhmischer Landtag: Nieger begründet
als Führer der Altczechen seinen Antrag auf eine Adresse an den
Kaiser.
Seine Rede schließt dahin: „. Die Journalistik, welche viel Gift
in den Streit gegossen, hätte behauptet, den Deutschen müsse die Hegemonie
gewahrt bleiben. Gewiß würde jeder deutsche Bauer oder Städter auf die
Frage: ob er ein Hegemon sei, antworten: was bringe es ihm ein? Sein
Sienerbuch zeige i ihm, daß er zwanzigmal mehr zahle als früher, wo er kein
Hegemon war. Der magyarische Stamm dürfe sich mit Böhmen nicht messen,
und doch regiere er in Oesterreich; Deutsche wie Czechen wären in der
Orient-Frage einig; aber unsere Zwietracht überließ den Magyaren das
Votum. Jeht werden wir einig sein im Zahlen jür die türkischen Gelüste
der Magyaren und deren blinden Slavenhaß. Was würde die Bohemia
unita in der Selbstverwaltung ersparen, und wie rasch würde die magyarische
Hegemonie befeitigt sein! Die Politik Oesterreichs wäre mit einem Schlag
eine anderc, wenn die acht Millionen Einwohner Böhmens und Mährens
Frieden schließen würden. Was heute noch im freien Willen der Deutschen
liege, könne morgen sich ändern. ### Thatsachen können überraschend kommen.
Die Vorgänge im Orient können die Urfache neuer Gebilde in unserem