Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

Die Oesterreichisch-Ungarische Monarchie. (Oct. 22.) 251 
des Deficits um 8 Millionen Gulden ist jedoch nur eine scheinbare, da alle 
die außerordentlichen Ausgaben, welche durch die Occupation erforderlich 
werden, in dem Voranschlage nicht berücksichtigt werden. 
Conferenz des Finanzministers De Pretis mit einer Anzahl 
von Führern der verschiedenen Fraktionen über die Möglichkeit der 
Bildung eines neuen Cabinets unter seinem Vorsitz. Programm 
De Pretis, Entgegnung Herbst's. Resultat der Conserenz. 
De Pretis specialisirt sein Programm in vier Hanptpunkten. Als 
den wichligsten derselben bezeichnet er die Occupationsfrage. In dieser Be- 
ziehung sei er für eine möglichsle Beschränkung der Occupation und für keine 
weitere Ausdehnung derselben. Was die Verwaltung der occupirten Länder 
belreffe, so würden die Kosten hiefür angesichts der mißlichen wirthschaftlichen 
Zustände in bisen Ländern im Jahre 1879 noch vom Reiche gedeckt werden 
müssen; vom Jahre 1880 angefangen würden dieselben von den occupirten 
Gebielen selbst zu tragen sein. Die Occupation solle nur so lange dauern, 
bis die Garantien für die vollständige Herstellung der Ruhe vorhanden und 
die Kosten eingebracht seien. Mit der Demobilisirung solle nur so weit vor- 
gegangen werden, daß darunter nicht die Actionssähigkeit der Armee Abbruch 
erleide. Der zweite Punkt seines Programms beziehe sich auf das Wehr- 
geseb. Er wünsche, daß man ihm dasselbe für dieses Jahr prolongire, 
erstens wegen der herrschenden mililärischen Sitnation, dann aber auch, weil 
das Mandat der Abgeordneten im nächsten Jahre erlösche. Der Minister 
geht hierauf auf die Beiprechung des drikten Programmpunktes, auf das 
Budget über und spricht die Erwartung aus, daß, falls es nicht möglich s sein 
sollte, dasselbe noch in diesem Jahre zu boliran, ihm auf drei Monate ein 
provisorisches Budgel bewilligt würde. Was den vierten Programmpunkt, 
die Steuerreform, betreffe, so gebe er sich zwar nicht der Hoffnnng hin, daß 
es möglich sein werde, diejelbe noch in diesem Jahre durch#nführen, er 
wünsche aber, daß man die Steuerreform überhaupt fertig bringe bis auf 
das Einführungsgesey und letzteres dem neuen Parlamente überlasse. Der 
Minister erklärk schließlich, daß, falls die Partei diesem Programme bei- 
stimme, er bereit sei, die Bildung eines parlamentarischen Ministeriums zu 
unlernehmen, und richtet an die Anwesenden die Aufforderung, ihren Elubs 
über das ihnen vorgelegte Programm zu berichten und ihm mit thunlichster 
Beschleunigung die Gntschließungen der Clubs belanntungeben. Dr. Herbst: 
Allerdings sei die Occupation ein lair accompli. allein Niemand bönne be- 
haupten, daß ein fait nccompli dauernd sein müsse. Es sei nöthig, daß die 
Rcgierung. klar und bestimmt erkläre, sie wolle die Annexion micht und daß 
auch die Occupation in möglichst rascher Zeit beendigt sein werde. Er ver- 
weise auf seine Haltung in der Delegation und auf seine dannts erhobenen 
Bedenken wegen der Folgen einer Occupation. Seine Befürchtungen seien 
nun übertroffen; eine finanzielle Katastrophe sei möglich, wenn au der 
änßeren Polilik in der Art wie früher festgehalten würde. In der That 
scheine ihn eine Besserung der Verhältnisse nur möglich, wenn der gegen- 
wärtige Leiter der äuseren Polilik zurücktrete. Die Hand des Grafen An- 
drafft habe sich als eine verhängnippolle erwiesen; seine Art, die Delegation 
und die Vertretungskörper über seine Politik zu verständigen, müßte von 
einem bedauerlichen Einflusse auf die parlamentarische Entwicklung sein, 
wenn die Vertretung dieselbe nicht in der enlschiedeusten Weise zurückweisen 
würde. Er mache kein Hehl daraus. daß er in Freiherrn v. Pretis diejenige 
Persönlichleit sehe, welthe jetzt zumeist geeignet sei, an die Spiße der Re- 
gierung zu treten. Freiherr v. Prelis würde in allen inneren Fragen seine 
 
	        
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