Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

254 Die Gesterreichisch-Ungarische Monarchie. (Nov. 4 —5.) 
znfindet man das Vorgehen der Regierung als ein versteckt absolutistisches; 
sie habe bei scheinbarer Einhaltung constitutioneller Formen thatsächlich eine 
der großen Mehrzahl der Bevöllerung antipathische und von den Abgeord= 
neten wiederholt mißbilligte Politik dem Lande ausgedrungen — eine Politik, 
die überdieß bei ihrer Ausführung von schweren Rechnungsfehlern nicht frei 
blieb, im Ganzen ungenügend studirt und vorbereitet war und nicht einmal 
einen klaren Zustand schuf, indem Niemand wisse, ob Oesterreich-Ungarn 
Bosnien und die Herzegowina nur vorübergehend oder danernd besigze, diese 
Ungewißheit aber auf alle binsichtlich dieser Länder zu ergreifenden Maß- 
regeln in nachtheiligster Weise einwirke. Eine zweite Neihe von Bedenken 
entspringt, wenn die O Occupation zu einer Eizwerleihuna führen sollte, aus 
der künftigen staatsrechtlichen Stellung der neuen Länder zu den beiden 
Reichshälften, welchen sich daun noch als drittes schwerwiegendes Motiv die 
Sorge anschließt, die in Oesterreich wie in Ungarn bei den bedrängten Finanz= 
verhällnissen durch die groben Kosten der Occupation und Vehauptung jener 
Länder sich ergeben müsse. — Nicht ganz so klar als die retrospectiven sind 
die posiliven Ziele des österreichischen Abgeordnetenhauses. Während einige 
Vertreter, wie z. M. Kuranda und Profesjor Sneß, wenigstens in einem 
früheren Stadinm der Frage sich als Freunde einer englischen Allianz 
erwiesen und in so fern zwit. der ungarischen Richtung übereinstimmten, 
neigten andere, wie z. B. v. Plener, einer Muffassung zu, welche eine 
Anlehnung an Rußland * die Aufrechkhaltung. des Drei-Raiser-Bündnisses 
empfahlen. Eine dritte Ansicht endlich erachtete die Knochen des steyerischen 
und niederösterreichischen Grenadiers für nicht minder werthvoll als die des 
bekannten Pommern; Oesterreichs Gulturberuf im Südosten anerkennend, 
saßte sie doch denseiben nicht als einen militärischen, sondern als einen 
wesentlich wirthschaftlichen auf, und vertrat daher den Standpunkt, daß 
alles, was Oesterreich im Orient zu suchen babe, in guten Communicationen 
und gulen Handelsverträgen zu suchen sei. Diese letztere Ansicht, obwohl sich 
sehr beppeifeln läßt, das, man mit ihr für im.###er das volle Auslangen ge- 
sunden hätte, besaß doch den unzweifelhaften Vorzug der Einfachheit und der 
Wohlfeilheit, und es ist kaum zweifelhaft, daß im Abgeordnelenhause, wenn 
es rechlzeitig befragt worden wäre, dieser Slandpunkt der Neutralität die 
Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt hätte. 
Aus der Debatte können hier nur die bedeutsansten Momente her- 
vorgehoben werden. Graf Hohenwart (das Haupt der Föderalisten) erklärt 
zunächst mit aller eskanleit und Nücksichtslosigkeit sprechen zu wollen, wenn 
er auch im Verlaufe seiner Rede so manches sagen jollte, was der Mehrheit 
unangenehm sein dürfte. Allüberall habe man die? Wahrnehmung. gemacht, 
daß bei großen Actionen nach außen hin die Stürme im Innern schweigen. 
Eine große Action sei auch in Oesterreich eingeleitet worden; ob richlig oder 
nicht, möge später untersucht werden. Was die Armee glorreich begonnen, müsse 
auch glorreich beendet werden. (Bravo! auf der Rechien.) Statt Einigkeit 
habe aber die große Action nur einen noch weiteren Verfall der Verfassungs- 
partei nach sich gezogen. Auch auf der Regierungsbank finde sich in diesem 
wichtigen Moment Niemand, der die Action verlreten würde. Zu dem Hader 
der Parteien im Innern des Hauses hat sich auch noch die Eisersucht des 
ganzen Hauses gegen die Delegation gesellt. Man trant seinen eigenen Be- 
vollmächligten nicht mehr. Mit Mißtrauen blickt man auf diejenigen, welche 
man soeben als die Träger seines Vertrauens bezeichnet hat. Man sucht den 
Wirkungskreis, den die Verfassung den Delegationen zugewiesen hat, zu 
schmälern. Dank dieser, wie man ja immer behauptete, vortrefflichen Ver- 
fassung, und Dank der Partei, die sich ja zum Horte derfelben aufgeworfen 
hat, sollen wir nun, ehe noch ein Wort aus dem Munde der Regierung zu 
 
	        
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