256 Die Gesterreichisch-Augarische Monarcie. (Nov. 4·.—5.)
werden es begreifen, daß man recht gut die Politik des Grafen Andrassy
bis zum Berliner Vertrag billigen konnte, ohne daß man mit irgend einem
der weiteren Schritte einverstanden zu sein DMranctt. Aber ich frage: welche
Erfolge wurden erzielt und stehen sie im Verhällnisse zu den für dieselben
gebrachten Opfern?! Ich bin zu dieser Frage um so mehr berechtigt, als der
Leiter der auswärtigen Angelegenheiten stets auf den Erfolg verwiesen hat,
ja für denselben mit seinem Kopf eingestanden ist. Heute stehen unsen
Truppen in Bosnien, mit Ausnahme gerade des Sandschaks Novibazar,
Serbien und Montenegro von einander trennt. Und gerade die eng
dieser Länder wurde als ein Hauptzweck der Occupation augegeben. Heute
aber slehen wir der Besehung' dieses Gebiets ferner als je. Unsere Erfolge
in Bosnien haben bei einer anderen südlichen Macht eine Erregung hervor-
gerufen, welche nicht unbeachtet bleiben darfs. England hat seine Interessen
genügend gewahrt, Frankreich bleibt passiv, und Deutschland drängt uns an
die Seite Nußlands und fügt uns auf wirthschaftlichem Gebiete nur Nach-
theile bei. Ist also unsere Stellung in Europa besser geworden? Auch
unsere militärische Stellung ist eine ungünstige, und dieselbe würde im
Fall eines Krieges mil Ruhland es mit zwei Operationsgebieten zu thun
haben. Nedner geht nun auf die finanzielle Seite über und erblickt in dem
Vorgehen der Regierung eine wesentliche Schädigung des österr. Credits, nach-
dem alles gegen den ausgesprochenen Willen des Parlaments geschehen sei.
So scheint es auch in Zulut bleiben zu sollen. Der Berliner Vertrag
wurde zwar überreicht, aber nicht als förmliche Regierungsvorlage, sondern
als Beilage zu einer künftigen Regierungsvorlage. Dann geht der Redner
auf das Institut der Delegationen über. Man sollte Neibungen zwischen
den Delegationen und den Vertretungskörpern der beiden Reichshälften ver-
meiden. Die Zusammensezung der Delegationen sei ein bleibender Wider-
spruch gegen den Grundsah der Verfassung: es dürfe keine Ausgabe gemacht
werden, welche nicht die beiderseitigen Volksvertretungen bewilligen. Wo
liegt denn der Schutz gegen eine übermäßige Belastung, wenn die Telega-
tionen alles voliren und die Regierungen mitwirten, daß die Mittel be-
willigt werden? Wie stellt sich die Regierung zu den Anforderungen an die
Telegalionen? MWir haben eben keine Regierung schon seit Februar dieses
Jahres. Wo liegt aber das Hinderniß zur Bildung einer parlamentarischen
Negierung? Man weist auf die Zersplitterung innerhalb der Verfassungs-
partei hin, allein hat nicht die gesammte Partei einmüthig den Adreßentwurf
acceptirt? Somit ist das Hinderniß der Zersplitterung der Partei nicht vor-
handen. Allein das Hinderniß liegt darin, daß die zukünftige Regierung
keinen maßgebenden Einfluß auf die # Leitung unserer auswärtigen Angelegen-
heiten ausüben soll. Dieß sei es, was die Bevölkerung beunruhige und was
der Adreß- Entwurf auch zum Ausdruck bringe. Finanzminister Frhr.
v. Pretis: Die Frage für uns konnte nur sein: auf welche Weise Oester-
reich seine Interessen zu schützen und in erster Linie zu verhindern in die
Lage käme, daß sich auf der Balkan-Halbinsel Gestaltungen bilden, welche
unmittelbar oder in nächster Entwicklung die Sicherheit der Monarchie zu
gefährden, ihre handelspolitische Mission zu erschweren oder gar unmöglich
zu machen vermöchten. Wir waren bemüht, die Wahrnehmung dieser In-
teressen, jolange es irgend möglich war, mit der Schonung unserer finan-
ziellen und militärischen Kräfte zu verbinden, und wir konnten daher dem
Minister des Aeußern nur zustimmen, wenn er es erstrebte, daß durch ein
Zusammenwirken der europäischen Mächte den Kämpfen auf der Balkan-
Halbinsel ein Ende gesetzt werde, und daß die Bestimmungen des zwischen
den kriegführenden Theilen abzuschlietenden Friedeus sich innerhalb solcher
Grenzen halten, daß nicht der Einfluß einer Macht auf die staatlichen Gruppen