260 Die Oesterreichisch-AUngarische Monarchie. (Nov. 12).
Ereignisse im Orient waren in die entscheidende Phafe getreten. Wir standen
an der Schwelle des Congresses, der die Nejultate des Krieges mit den For-
derungen des europäischen Gleichgewichts und mit den nahe berührten In-
teressen der Monarchie in Einklang bringen sollte. Damals wurden der
Regierung mit dankenswerthem Patriotismus die Mittel bewilligt, welche
dieselbe in den Stand sette, nach beiden Richtungen hin ihren Einfluß auf
dem Congresse und nach demselben erfolgreich zur Geltung zu bringen.“ Der
Kaiser spricht seine Befriedigung aus, daß es dem Gondrese gelungen, die
eminente Gefahr eines europäischen Krieges zu beschwören. „Der Berliner
Friede hat einen nenen Zustand der Wettaländer' geschaffen. Seine con-
sequente allseitige Durchführung, für welche Meine Regierung mit aller
Vertragelreue eintreten wird, ist geei iguet die Wiederlehr von Gefahren,
die den Frieden Europa's und unsere Interessen bedrohten, wirksam hintan-
zuhalten. Zur Erreichung dieses Juls haben die in Berlin versammelten
Mächte beschlossen, daß die Occupation und Administration Bosniens und
der Herzegowina Oesterreich-Ungarn übertragen werde. Ich habe diese Auf-
habe übernommen. Ich bedaure, daß es bei der tiefen Zerrüttung der inne-
ren Verhältnisse jeuer Länder nicht möglich war, die Occupation friedlich
durchzuführen. Der Widerstand, den anarchische Elemente unseren wohl-
wollenden Absichten entgegensetzten, ijt durch die Tapferkeit Meiner braven
Truppen in kurzer Zeit gewichen.“ Die aus der allgemeinen Wehr-
pflicht hervorgegangene Armee habe bei dieser Gelegenheit die Probe
ihrer Tüchtigkeit glänzend bestanden, wozu der Kaiser die Delegirten be-
glückwünscht. Die rasche und durchgreifende Lösung der militärischen Aufgabe
habe die Bevölterung Boerniens und der Herzegowina von dem Terrorismus
der Auswiegler befreit und es dem Kaiser möglich gemacht, die Rückberufung
eines beträchtlichen Theiles der Occupationstruppen auzuordnen. Es werde
unn das ernste Streben der Regierung sein, die Opfer, welche die
Durchführung der Aufgabe erheische, mit der finanziellen Lage
der Monarchie in Einklang zu bringen und den Eintritt des
Momentes zu beschleunigen, in welchem die Verwaltung Bos-
niens und der Herzegowina aus den Mitteln dieser Länder selbst
bestritten werden könne. Die Hoffnung, daß dieß gelingen werde,
erscheine um so mehr begründet, als die Beziehungen der Monarchie zu allen
Mächten jortwährend die besten seien. Es seien schwere Opfer, welche von
den Delegationen verlangt würden, große historische Ereignisse seien
mit nicht gewöhnlichen Anforderungen an die Mo narchie heran-
gekreten. Der Kaiser vertraue, daß der Patriotismus jeiner Bölker und
du Einsicht ihrer Vertreler hinter der Größe des geschichtlichen Mo-
menles nicht zurückbleiben würden; er sei übergengt, daß die Delegirten
ihre Bemühungen mit jenen der Regierung vereinigen würden, damit das
begonnene Werl zur Erhallung des europäischen Friedens, zum Wohle und
Ruhme der Monarchie und zur Consolidirung ihrer inneren und äußeren
Verhältnisse einem glücklichen Ende zugeführt werde.
12. November. Der russische Gesandte in London, Graf Schu-
waloff trifft in einer geheimen Mission in Pesth ein. Derselbe er-
reicht jedoch seinen Zweck entschieden nicht.
Zuverlässiges verlanket vorerst darüber selbstverständlich nichts. Wie
es scheint, sollte Schuwaloff in erster Linie Oesterreich wie die übrigen
Mächte davon überzeugen, daß die Türkei außer Stande sei, den Berliner
Frieden in allen Punkten, die sie belräfen, auszuführen, und daß es daher
an der Zeit wäre, Gonstantinopel ebenso unter die Vormundschaft der Mächte