288 Großbritlannien. (Jan. 24.)
24. Jannar. Die Regierung kündigt in beiden Häusern an,
sie werde am 28. ds. Mts. einen Supplementarcredit für die Marine
und für militärische Zwecke überhaupt beantragen.
Northceote bezeichnet im Unterhause als Grund für die Maßregel, daß
die Regierung nach Verlauf einer Woche nicht nur die Friedensbedingungen
nicht kenne, sondern auch eine bedeutende russische Streitmacht den Vormarsch
fortsete. Die Negierung habe deßhalb geglanbt, mit den Vorschlägen nicht
länger zögern zu dürfen. Im Oberhause fügt Beaconsfield noch bei, die
Politik, welche die Minister vorschlagen zu müssen glaubten, könne nicht ab-
hängen von dem Willen irgend einer befreundeten Macht. Die Minister
Canarvon und Derby fehlen in der Sitzung: sie sind mit der Maßregel nicht
einverstanden und erklären, zurücktreten zu wollen. Schon will man wissen,
Canarvon's, des russenfreundlichsten Cabinetsmitgliedes, Demission werde an-
genommen, dagegen würden große Anstrengungen gemacht werden, um die-
senige Derby's zu verhindern. In Lord Salisbury, der bisher auch ziemlich
schwantend war und einer energischen Politit widarstrebte, ist eine Art Um-
stimmung eingetreten
Die öffentliche Meinung ist sich sofort darüber klar, daß die leitenden
Mitglieder der Regierung nunmehr ihrerseils einen festen Entschluß gefaßt
haben und daß das Parlament durch die Creditforderung vor die Entscheidung
gestellt werden soll. Englands oberste Regierungsverwaltung besteht bekannt-
lich aus 32 Mitgliedern. Zwölf davon bilden das leitende Cabinet. Inner-
halb des Cabinets hat in wichtigen Zeilen ein engerer Kreis die eigentliche
Leitung; d. h. es bleiben der Premier, der Minister des Auswärtigen, der
Schabkangler und der Minister für Indien in fortwährendem Verkehr. Weder
eeer engere Rreis noch das Zwölfer-Cabinet sind durch verfassungsmäßige
Satung anerkannt; alles hat sich durch Gewohnheitsrecht gebildet, und man
hütet sich, dasselbe in eine Formel zu fassen. Man kann sich leicht denken,
daß bei dem oft stündlich wiederlehrenden Eintreffen wichtiger Depeschen,
wegen deren die vier Mitglieder des engeren Kreises wiederholk vertraulich
zu berathen haben, ein Verkehr des Premier mit einem Manne wie Canarvon
ins Unerträgliche ausarten mußte. Der letztere hatte ja jeden für „wahnsinnig“
erklärt, der an eine Wiederholung des Krimm-Krieges denke. Es war hohe
Zeit, daß dieser Minister aufhörte, scheinbar im Namen des Cabinets zu
sprechen. Dem Schablanzler, der, wie die meisten Finanzminister, jo lange
wie möglich vor neuen Aus egaben zurücksehent, machte eine Abordnung den
Standpunkt einflußreicher Mitglieder der ministeriellen Partei klar. Seitdem
hat eine abermalige vertrauliche Zusammenlunft einer Anzahl conservativer
Parlamentsmilglieder stattgesunden, in welcher ein Dreier= Ausschuß erwählt
wurde, dem die Vollmacht ertheilt ist, nöthigenfalls eine Versammlung zu
ferneren Besprechungen einzubernien. Kann man dieß auch nicht gerade einen
Actions-Ausschuß der Partei nennen, so bildet sich ein jolcher doch allmählich
heraus. Den Theilnehmern an dieser Verathung war die erste Antwort des
Schatzkanglers keine ganz befriedigende gewesen. Denn die Parlamentsmehr=
heit ist viel schirfer antirussisch gesinnt, als es die bisherige Mehrheit des
Cabinets war. An uch der „Verein für den Schut brilischer Interessen gegen
usic Uebergriffe im Orien!“, in dem übrigens Liberale milwirken, richlete
an den Premier ein eunergisches Schreiben, worin auf sosortige Action ge-
drängt und die Regierung ob ihres seitherigen Zögerus und Schwankens ge-
tadelt wird. Die Ankündigung des Schatzkanglers im Unterhause wird mittler-
weile mit wiederholten, am Schlusse mit lauten und lang anhallenden
Beifallsrufen aufgenommen und man hört dabei auch Beifallsrufe von mehreren
Bänken der liberalen Partei. Die Führer der Opposition halten ihrerseits am