Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

324 Großbrillannien. (Juli 18.) 
Convention alle (Ursache zu Mißtrauen und Beunruhigung abgewendet wurde. 
Meine Lords! Der Berliner Congreß hat große Veränderungen herbei- 
geführt, indem er dem Sultan zwei Dritttheile seines Landes 
zurückgab, welche einen großen bulgarischen Staat bilden sollten. 
Wir haben dem Sultan 30,000 Onadratmeilen Territorium zurückgegeben, 
und zwar das Meiste im Vereich des Valkans, wo der größere Theil des 
Vodens ergiebig, die Bevölkerung die fleißigsten, die reichsten, die begabtesten 
und loyalsten Unterthanen des Sultans enthält. Es wurde gesagt, die be- 
festigte Stadt Sofia sei von beherrschender Bedentung, und der Congreß 
habe sich nur dem Andringen einer der dort vertretenen Mächte gefügt. Ich 
kann Sie versichern, daß an alle dem nicht ein Schatten von Wahrheit 
haftet. Mehemed Ali entwickelte seinen Collegen und insbesondere den Be- 
vollmächtigten Englands seine Meinung über diesen Gegenstand dahin — 
und er sprach mit voller militärischer Erfahrung und genauester Kenntniß 
aller. in Sctracht kommender Oertlichteiten —, daß nichts irrthümlicher sei, 
als die Idee, daß Sosia eine starke strate egische Position darstelle, und daß 
diejenigen, welche sie inne hätten, durch Umgehung des Balkaus auf Con- 
stantinopel marschiren könnten. Bezüglich Bosniens hatte der Congreß 
eine der schwierigsten Materien vor sich, wenn er versuchen wollte, den Sultan 
als eine wirkliche und machtvolle Antorität wieder einzusehen. Dieß war 
freilich der einmüthige Zweck der Conferenz. Aber die Schwierigkeit bestand 
in der Lage einiger seiner entlegensten Provinzen, insbesondere Bosniens. 
Die Zustände in Bosnien und anderen Ländern und Provinzen, welche in 
Verbindung damit stehen, glichen chronischer Anarchie. RKeine Sprache kann 
zur Genüge die Zustände in jenem großen Theile der Balkan-Halbinsel 
schildern, welcher Numänien, Serbien, Vosnien, die Hergegowina und andere 
Staaten umfaßt. Politische Intriguen, unablässige Eisersucht, der *ß- 
Mangel an öffentlichem Gemeinsinn und an Zwecken und Zielen, die Wertl 
haben für ein patriotisches Gemüth; der Ragenhaß, der Religionshader, vol- 
Allem der gänzliche Mangel an höherer kontrolirender Macht von anerkannter 
Bedentung auf diesem Gebiete - wie unter dieser großen und wachsenden 
Bevölkerung irgend welche Ordnung zu schaffen, war einer jener Prüfsteine, 
welchem sich Niemand, der den Gegenstand kannte, entziehen konnte. Wäh- 
rend der lehten Jahre konnte die Türkei eine Ari von Ankorität ansüben, 
und obwohl sie nicht aus Ferichte zud, wenn sie ausreichte, nicht eben mit 
Weisheit ausgeübt ward, so z doch immerhin eine Antorität, an welche 
biejenigen, denen nubil!. Midngeen sich wenden konnten, und welche mit- 
unter Gewaltthaten hintauhalten konnte. In diesem Moment aber ist die 
Türkei nicht in der Lage, eine so verantwortliche Stellung auf sich zu nehmen. 
Ich habe mich bei den zuverlässigsten Sachverständigen darüber unterrichtet, 
und das Resultat meiner Nachforschungen und meiner eigenen Ueberzeugung 
zugleich ist, daß nichts Geringeres als eine Armee von 50,000 Mann, und 
K#ar der erlesensten kürkischen Truppen, für einen Angenblick etwas wie 
Ordnung wiederherstellen könnte, und auch dieser Versuch würde den Wider- 
stand nicht brechen und könnte sogar fehlschlagen. In welcher Lage fände 
sich die Türkei, wenn sie in dem Augenblick, wo sie, wie zu hoifen steht, 
eine neue Bahn zur Verbesserung und Ruhe betritt, eine große Armee nach 
Bosnien zu entsenden hälte, um mit jenen schwierigen und gefährlichen Ele- 
menten fertig zu werden? Es ist ganz klar, und Eure Lordschaften werden 
erkennen, daß solch' eine Anstrengung auf Seiten der Türkei ihren absoluten 
Ruin mit Sicher beit herbeigeführt hätte. Unter folchen Umständen haben 
die Mächte Europa's ihr Auge auf eine Nachbarmacht gerichtet, die sich einer 
weit verschiedenen Lage erfreute und zugleich ein Interesse daran hatte, in 
jenen Landen Wohlfahrt und Glück wiederhergestellt zu sehen — eine Macht,
	        
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