Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

334 Grohbriltannien. (Nov. 9.) 
fall mit Verkrauen an das Volk dieses Landes appelliren, da- 
mit es sie in der Aufrechlerhaltung des Buchstabens und vollen 
Geistes des Berliner Vertrags mit aller Thatkraft und allen 
Mitteln unterstütze. Aber ich werde nicht glauben, daß wir unter irgend 
einem Umstande in eine Bahn getrieben werden könnten, welcher wir sonst 
nicht zu folgen uns entschließen dürften, weil ich den Vertrags zunterzeichnern 
eine ehrenhafte Erfüllung ihrer Verpflichtungen zutraue. Ich gebe zu, daß 
da Artikel in Zeitungen von versehiedener Bedeutung stehen, das- es ein nicht 
gerade zuverlässiges Gerede gibt, ausgegangen von untergeordneten Beamten 
verschiedener Staaten, die eine abweichende Meinung geäußert haben. Aber 
die Regierung der Welt wird von Souveränen und Staatsmännern geführt 
und nicht von anonymen Artikeln (Veifall) oder von dem leichtfertigen Ge- 
schwätz unverantworllicher Frivolilät, und deßhalb sehe ich mit Ver- 
trauen dem entgegen, daß der Berliner Vertrag vollständig zur 
Ausführung gelangt in der dafür vorgesehenen Frist, und ich 
glaube, daß wir durch Ausführung des Vertrages einen dauernden Frieden 
in Europa erhalten werden. (Beifall). Ich habe über die Lage der Dinge 
gesprochen ohne Rückhalt. Ich habe es nicht für unangemessen gehalten, 
Seitens der Negierung Ihnen zu sagen, wie wir die Lage ansehen. Daß 
der Stand der Dinge gegenwärtig erust ist, kann nicht bezweifelt 
werden, weil das immer der Fall ist, wenn eine große Gestaltung vor sich 
geht und noch nicht fertig ist; aber ich längne die Gefahr. Ich weiß, es 
gibt Leute, die meinen, Englands Macht sei in der Abnahme. Wir sind 
neulich belehrt worden, unser Schicksal werde das von Genna, Venedig und 
Holland sein. Aber da ist doch ein großer Unterschied zwischen der Lage 
Englands und jenen malerischen und interessanten Staaten. Wir haben 
während langer Zeiten des Wohlstandes eine Nation von :31 Millionen ge- 
schaffen, welche genießßen und lange genossen haben die beiden groszen Seg- 
nungen des vürgerlichen Lebens, Gerechligkeit ud Freiheit. (Beifall.) Eine 
Nation solchen Gepräges hat cher das Zeng, Reiche zu gründen als Reiche 
aufzugeben, und ich hege die Zuversiht, daß, wenn das Volk Englands sich 
seiner muthigen und entschlossenen Vorfahren würdig zeigl, wenn England 
sich selbst treu bleibt, seine Ehre nie erlöschen, seine Macht nie finken wird. 
Englands Schicksal ist in Englands Hand; und Sie dürfen nichts geben auf 
das Gerede, als fehlle es Ihnen sovohl' an Kraft wie an Ueberzengungs- 
treue, diese Politik, die Sie als eine Polilik der Gerechtigkeit und Wahrheit 
angesehen. durchmuführen. My Lord Mayor, ich hoffe, daß, wenn wir uns 
wieder hier treffen, ich oder ein Würdigerer (Rufer nein! nein) die Gelegen- 
heit haben wird, Ihnen Glück zu wünschen zu der Stellung, die Eugland 
schätzt und, weil es sie schäyzt, zu behaupten entschlossen ist.“ 
9. November. Lord Shaftesbury spricht in einem offenen 
Briefe ohne Umschweif seine Ueberzengung aus, daß „die von dem 
Rhodope-Ausschuß aufgesetzten Gräuel-Verichte (siehe unter Pforte) 
streng wahrheitsgemäß sind“. 
Shaftesbury war 1876 bei der bekannten Versammlung in der St. 
James-Halle, wo die Gladstone'sche Gräuel-Bewegung recht eigentlich ein- 
geleitet wurde, in der Nachmittagsverhandlung Vorsitzender gewesen. Er 
neunt jebt die Zaren- Herrschaft geine von Barbarei und Ehrgeiz durch und 
durch erfüllte Regierung“. Die Muselmänner von Afghanistan — meint er 
„könnten aus den Erzählungen ihrer Glaubensgenossen in den Rhodope= 
Vorzan lernen, was sie von einer russischen Umarmung zu erwarten haben.“ 
Den Kaiser von Rußland möchte er gern als einen persönlich gutherzigen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.