Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

344 Frankreich. (Jau. 22—23.) 
bis jetzt 15 Mandate cassirt und wird vielleicht noch weitere 20 cas- 
siren. Es ist das in Wahrheit nicht viel gegenüber den scandalösen 
Wahlbeeinflussungen der reactionären Regierung am 16. Mai. Die 
Rechte erhebt indeß darüber großes Geschrei, weil viele der so Ge- 
wählten bei freier Wahl keinerlei Aussicht haben, wieder gewählt 
zu werden, und verlangt, daß für Cassirungen künftig die einfache 
Mehrheit nicht genügen, sondern zwei Drittel der Stimmen erfor- 
derlich sein sollen. Gambetta stellt die Borfrage und in dieser wird 
der Antrag mit 312 gegen 186 Stimmen abgelehnt. 
Der Bautenminister Freycinet setzt einer Subcommission des 
Budget-Ausschusses in einem zweistündigen Vortrage seinen Plan 
öffentlicher Bauten, die sich auf Eisenbahnen im Werthe von 3 Mil- 
liarden und auf Wasserstraßen zum Preise von 1 Milliarde erstrecken, 
eingehend auseinander. 
Er versichert, den Einwendungen eines Theiles der Presse gegenüber, 
dieser Plau sei nicht nur nicht chimärisch oder auch nur gewagt, sondern so- 
gar sehr bescheiden; er umjasse ein Ganzes von unerläßlichen Arbeiten, ohne 
dem wMientlich. Eredit oder der materiellen Leistungskraft zu viel üing mnthen 
on den „ Milliarden für die Eisenbahnen würden 230 300 Millionen 
den F### Gesellschaften zur Last fallen; aber selbst die ’imoe Zisser von 
3 Milliarden sei, auf einen Zeitraum von 10 Jahren vertheilt, keine über- 
triebene, da die großen Gesellschaften in 25 Jahren, ohne daß der öffentliche 
Credit es empfand, 10 Milliarden ausgegeben hätten. Er, der Minister, sei 
entschlossen, die Summe von 400 Millionen jährlich nichi zu überschreiten. 
Hinsichtlich der Beschaffung der Geldmittel ist der Minister noch nicht in 
der Lage, definitive Vorschläge zu machen; doch erklärt er, daß ihm für 1878 
sein Budget genüge und er keinen anseerordentlichen Zuschuß verlange; 
später würde es sich dem Staate wohl empfehlen, nach dem Beispiele der 
großen Gesellschaften Obligationen mit langer Einlösungsfrist je nach dem 
Bedürfnisse der laufenden Arbeiten anszugeben. Der Schaß würde diese 
Obligationen unschwer direct und ohne jede Vermiltlung knlerhukringer 
vermögen. 
22. Januar. Eröffnung des Generalraths der Seine. Der 
mit 42 gegen 34 Stimmen zum Präsidenten gewählte Hr. Engel- 
hard richtet eine Ansprache an die Versammlung: 
„Meine Herren! Wir ireten in eine neue Aera ein. Die Nepublik 
hat den Kampf für ihr Dasein ausgelämpft; sie ist fortan unausrottbar, 
aber jetzt muß sie sich demokratische Grundlagen geben, die Mißbräuche ab- 
schaffen, den enterbten Classen von Nutzen sein. Nachdem sie in der Politik 
Ordnung geschaffen hat, muß sie in der Gesellschaft die Gerechtigkeit walten 
lassen. Ja, wir gehen besseren Tagen entgegen, denn die geistige Emanci- 
pation Frankreichs vollzieht sich. Die Ideen, die seit hundert Jahren aus- 
gestreut worden sind, haben Früchte getragen, sie haben den Staaksstreichen, 
den polilischen Reactionen, der clericalen Propaganda widerstanden. Sie 
werden endlich obsiegen!“ 
23. Januar. Die „Amtsztg.“ veröffentlicht die ersten von
	        
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