Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

378 Franbreich. (Nov. 15 — Dec. 10.) 
15. November. Senat: Wahl von 3 lebenslänglichen Sena- 
toren in Folge von drei Todesfällen. Die republikanische Linke 
schlägt dafür als Candidaten vor: den Grafen Montalivet, den 
Bankregenten André und den General Greslay, die alle 3 in der 
That das Maximum sowohl conservativer Gesinnung als constitntio- 
neller Bürgschaften darstellen. Die verbündeten Reactionäre machen 
jedoch den letzten Gebrauch von ihrer Paar-Stimmen-Mehrheit und 
wählen den Legitimisten Baragnon, den Bonapartisten de Vallce 
und den Orleanisten d'Haussonville. 
21. November. Kammer: beginnt die Berathung des Vudgets 
für 1879. 
30. November. Kammer: hat das Ausgabebudget bereits er- 
ledigt und genehmigt dasselbe als Ganzes einstimmig. 
3. December. Kammer: hat auch das Einnahmebudget be- 
reits erledigt und genehmigt dasselbe als Ganzes. 
10. December. Kammer: die Wahlprüfungen und damit die 
Cassirung von Wahlen wegen gesetzwidriger Beeinflussung derselben 
durch das Regiment vom 16. Mai und den Mißbrauch der offi- 
ziellen Candidaturen finden erst jetzt ihren Abschluß. Es ist aller- 
dings eine ganze Reihe, darunter eine große Zahl hervorragender 
Mitglieder der reactionären Parteien, annullirt worden. Der ge- 
mäßigte „Temps“, ein Organ des wesentlich conservativen linken 
Centrums, vertheidigt dieses Vorgehen der Kammermehrheit in fol- 
gender Ausführung: 
„Das große Werl der Wahlprüfungen hat 13 Monale gedauert und 
den größten Theil der von der gegenwärtigen Kammer gehaltenen Sihungen 
in Anspruch genommen. War dieses Werk nothwendig, unerläßlich! Hat 
die Mehrheit Recht gehabt, die aus der offiziellen Candidatur hervorgegange- 
nen Wahlen mit gar so minntidier Sorgfalt zu prüsfen: Man kann sagen, 
daß die Mehrheit, wenn sie die bestrittenen Wahlen, ohne zu ermüden oder 
zu fürchten, daß sie die öffentliche Meinung durch die Wiederholung der- 
selben Beschwerden absimmpfen könnte, einzeln durchging und zahlreiche In- 
validirungen verhängte, damit nicht etwa einem, wenn man so sagen darf, 
parlamentarischen Interesse gehorcht hat. ieie Vichrheil. wie sie noch vor 
jeder Umstoßung aus den Wahlen vom 14. October hervorgegangen war, 
war schon beträchtlich genug, um von der Minderheit nichls besorgen zu 
dürsen. Nicht also um ihre Zahl und Stärle zu erhöhen, hat sie so viele 
Zeit und Mühe daran gesetzt und so viel Strenge dabei walten lassen, die 
Bollmachlen der Milglieder der Minderheit zu prüfen; vielmehr war sie von 
einer höheren und berechligleren Rücksicht beherrichl. Sie wollle die Wahl- 
Moral in ihre Rechte wieder einseyen. Ueberzeugt, daß in einem Land, in 
welchem das allgemeine Stimmrecht sonverän ist, jeder Eingriff in die Frei- 
heit, Würde und Sittlichkeit der Abstimmung die Instikutionen selbst falscht 
und in Bälde den Verfall der Nalion nach sich zieht, wollte die Kammer
	        
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