Franbreich. (Dec. 12.) 379
durch die Menge der Verurtheilungen und die helle Beleuchtung der That-
sachen die Wiederkehr der strafbaren Kunstgriffe der offiziellen Candidatur
unmöglich machen. Man darf nichl vergessen, daß Frankreich achtzehn Jahre
lang unter dem Druck dieser offiziellen Candidatur geschmachtet hal, daß
unter dieser langen Praxis Geister und Charaktere herabgesunken sind und
bei einem Theile der Bevölkerung irrthümliche und verderbliche Vorstellungen
in Bezug guf das Wahlrecht Eingang gefunden haben. In den minder be-
völkerten Deparkements, in den kleinen Gemeinden hat man sich gewöhnt,
die active Einmischung der Regierung als elwas natürliches und unvermeid-
liches anzusehen; Interesse oder Furcht waren dort lange das bestimmende
Moment der Wahl. Ganze Gemeinden stimmten für den offijiellen Candi-
daten, sei es aus Furcht vor der Allmacht des Präfecten oder aus Verlangen
nach administrativen Vergünstigungen. Schon waren die Ideen und die
Praxis im Begriff, sich in diesem Betracht zu ändern, als mit dem 16. Mai
das System der offiziellen Candidatur noch einmal, und heftiger selbst als
unter dem Kaiserreich, in Wirksamkeit trat. Die Bevölk erungen, die einen
Augenblick an die Wahlfreiheit geglaubt hatten, sahen sich unn in ihre alten
Vorstellungen zurückversetzt, und wußten schier nicht mehr, welches in Wahl-
sachen ihre Rechte und ihre Pflichten seien. Diese Verwirrungen und
Schwankungen des öffentlichen Gewissens, diese Verkehrung der Begriffe von
Recht und Unrecht stellen eine Gefahr dar, und diese Gefahr wiederum ist
es, welche die Mehrheit erkannte, und dadurch zu beseitigen suchte, daß sie
den Bevölkerungen, welche gang besonders dem administrativen Druck, der
sittlichen und maleriellen Vergewaltigung erlagen, recht dentlich zeigte, daß
es in Wahlsachen eine Moral gibt, die nicht ungestraft mißachtet und ver-
letzt werden darf. Nicht für die Vergangenheit und Gegenwart wurden so
viele Wahlen umgestoßen, jondern im Hinblick auf die Zukunft, auf daß
nämlich diese langen Debatten, die Enthüllung und Verdammung der gröbsten
Mißbräuche! sowohl für die Candidaten als für die Wähler eine unvergeß-
liche Lehre seien.“
12. December. Senat: beginnt die Berathung des Budgets
für 1879. Der Bericht des Budgetausschusses tritt der pessimisti-
schen Anschauung der reactionären Parteien durch die Darlegung
der Thatsachen scharf entgegen.
Der Bericht empfiehlt die unwerzügliche und unveränderte Annahme
bes Budgets, wie es von der Kammer votirt wurde. Ungeachtet des 16. Mai,
der Orient-Frage und der allgemeinen Krisis der Arbeit und des Handels
bewahrt Frankreich eine gute und solide Finanglage. Die aufsteigende Be-
wegung der Staatseinkünfte, aufgehalten in vorigen Jahre, besteht wieder.
Frankreich arbeitet, erspart und will den Frieden. Auf den Rath des Herrn
Thiers hat es sich muthig beträchtliche Rejerven für die Stlaatswirthschaft
geschaffen, wie es festes Vertrauen in den Bestand feiner Einrichtungen be-
sitzt, welche es zu vertheidigen wußte. Vom Standpunkte des Budgels aus
besitzt es eine ihm bisher unbekannte dlccianefreiheit welche dem Vaulen=
minister gestattele, ein großartiges, auf 10 oder 12 Jahre berechnetes, Bauten-
Programm zu entwerfen, ohne daß es unwahrscheinlich oder unglaublich be-
sunden wurde. Die Vergangenheit ist, was die Finangen aubelangt, wieder
gut gemacht, die Gegenwart beruhigend, die Zulunft verbürgt. Herr Buffet,
der auch einmal mehrere' Wochen hindurch Finanjminister des Kaiserreiches
war, hat allerdings jenes Bauten-Programm und die neue tilgbare Rente des
ie Loon Say, die hauptsächlich jenem Programm gewidmet ist, dem Senat
schon vor der Ausstellung als unwahrscheinlich und unglaublich, als die