Belgien. (Oct. 13 — Nov. 12.) 425
13. Ockober. Es ist außer Zweifel, daß das neue liberale
Ministerium die Aufhebung der bisherigen belgischen Gesandtschaft
beim hl. Stuhle beabsichtigt.
Daß nach dem belgischen Staatsrecht, seitdem dem Papst nur noch eine
rein Üechliht Nolle zukommt, die Regierung nicht berufen noch berechtigt ist,
mit Sr. Heiligkeit ein diplomatisches Verhältniß forlzuführen, verhehlen sich
die Katholiken nicht, aber sie geben sich der Hoffnung hin, daß die rechtlichen
Rücksichten denen des Anstandel und der Chrfurcht auch beim jehigen Cabinet
weichen dürften.
29. October. Die allgemeinen Gemeinderathswahlen, die in
allen bedeutenderen Ortschaften einen politischen Character tragen,
fallen im Gangen und Großen zu Gunsten der Liberalen aus.
Ter neue Abstimmungsmodus, wonach der Stimmgeber isolirt wird,
hat auch hier, wie bei den allgemeinen Wahlen vom II. Juni, den Klerikalen
erhebliche Schläge zugezogen. Von den nenn Provinzialhauptstädten ist nun-
mehr nur noch Brüggess slädtische Berwaltung in den Händen der lehteren ge-
blieben; mehrere Städle, in denen sie bisher die S berhand hallen, sind ihnen
abtrünnig geworden, andere, in denen die Aussichten für ihre Geguer sehr
gefährdet waren, ihnen nicht zugefallen.
12. November. Eröffnung der Kammersession. Thronrede des
Königs.
Die Throurede gereicht den Liberalen zu lebhafter Befriedigung. Zum
ersten Male spricht sich ein belgischer König unumwunden, ohne Nückhalt
und Verblümung über die belgische Lebensfrage, die s Loslösung von der kleri-
kalen Bevormundung in der Unterrichtsfrage, aus. „Die geiftige Cultur
eines Volkes“, sagt der König, „ist gegenwärtig mehr denn je die Haupt-
quelle seines Aufblühens. Durch die Schöpfung eines speciellen Unlerrichts-
ministeriums hat die Regierung hinreichend ihre Absicht kundgethan, mit
besonderer Sorgfalt über dieses edle und große Interesse zu wachen. Der
auf Kosten des Staates zu ertheilende Unterricht muß unter die ausschließ-
liche Leitung und Aufsicht der Civilbehörden gestellt werden. Er hat die
Aufgabe, den jungen Generationen die Liebe und die Achtung der Prineipien
einzuflößen, welche die Basis uuserer freien Institutionen bilden.“ (Stür-
mischer Applaus der Linken.) Dieser Passus deutet darauf hin, daß nicht
nur die Revision des Elementar-Unterrichtsgesetes von 1812 in liberalem
Sinne erfolgen, sondern auch der höhere Unterricht in allen jeinen Abstufun=
gen in liberalem Sinn gekräftigt und entwickelt werden foll. Auch in Betreff
der Reform der Wahlgesehgebung wird ein ferneres Vorgehen in Aus-
sicht gestellt. Die Reorgauisation der Armee durch die Bildung einer
Reserve von 30,000 Mann wird angekündigt. Zu diesem erhält die Bürger-
garde nene Gewehre; denn dem Renard'schen Plau zufolge soll das erste
Aufgebot der Bürgergarde das Hauptelement der Reserve bilden. Den arbei-
lenden Classen, welche schwer unter der gegenwärtigen Krisis zu leiden haben,
verspricht die Thronrede, nichts zu versäumen, um ihre Lage zu verbessern.
Die Rrourede sagt ferner über die Nothwendigkeit, neue Steuern zu
schaffen: „Die sinanzielle Lage erheischt eine eingehende Untersuchung; das
Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben ist verschwunden; das
Budget von 1877 schließt mit einem Deficit, das des laufenden B
kündigt sich nicht günstiger an; der öffenkliche Schatz hat (unter Malou) b
trächtliche Verpflichlungen übernommen; es heißt jebt, Mittel und Wege z