448 Rußland. (Ende Aug. — Sept. 12.)
noch durch eine Verordnung des Kriegsministers, welche ebenfalls
auf kaiserlichem Befehl beruht, ergänzt.
Dadurch wird der Staatsgewalt ein Machtmittel in die Haud gelegt,
welches ganz eigentlich als ein Ausnahmgeset, gegen politische Verbrechen
sich darstellt; die polilischen Verbrechen, sowie die Verbrechen gegen Staats-
beamte werden den ordentlichen Gerichten entzogen und den Milstärgerichten
unterstellt, die nach Kriegsrecht über sie zu urtheilen haben. Schon diese
Maßregel verhängt im Grunde den Belagerungszustand zum Theil wenig-
stens über das Reich. Es schließt sich daran jedoch eine weitere ergänzende
laiserliche Berordnung, wolche denselben Charakter einer Maßregel des Be-
lagerungszustandes an sich trägt. Der Czar hat nämlich befohlen, daß solche
bolitische Verbrechen den Mililärgerichten zu übergeben seien auf Anordnung
Bezirks-Milikärchefs. Ferner werden die Glieder der Militärgerichte in
E Bezirken für jolche Fälle besonders ernaunt und zwar vom Begzirkschef
aus der Zahl der Stabsofsiciere. Endlich werden in solchen Fällen den Be-
zirkschefs die in Kriegszeiten den Obercommandirenden zustehenden Rechte
übertragen. Wie man sieht, ist dem Militärchef in ziemlich ausgedehntem
Maße überlassen, politische Verbrecher zu entdecken und zu verurtheilen. Was
ein jolcher Bezirlschef mit solchen Ausnahmerechten vermag, hat man aus der
nikolaitischen Zeit in Rußland noch lebhaft im Gedächtnisse; mit diesen
Rechten bewassnet war er früher einfach Selbstherrscher in seinem Bezirk.
Gegenwärkig ist diese Gewaltstellung allerdings gemildert durch die größere
Selbständigkeit anderer provinzieller Iustitutionen, allein ein Stück von
Kriegszustand bleibt es doch.
— August. Der Kaiser geht zum Herbstaufenthalt nach Li-
vadia.
1. September. Der „Negierungsbote“ veröffentlicht in Folge
des Attentates Mesengoss einen Artilel, in welchem ausgeführt wird,
daß angesichts einer Reihe verbrecherischer Thaten seitens einer Menge
schlimmgesinnter Personen, welche am 10. Angust in der Ermordung des
Chefs der Gendarmerie, Generals Mesengoff, gipfelten, die Geduld der Re-
gierung gänglich erschöpft sei. Die Regierung erachte es als ihre Millicht
gegenüber jedem ehrlichen russischen Bürger, dessen öffenlliches und Privat-
leben, sowie dessen Eigenthumsrechte vor Rechtsverletzungen zu schützen, welche
die ruhige und rechtmäßige Entwicklung des Staatslebens stören. Die Ne
gierung werde fortan mit unbengsamer Strenge die Leute verfolgen, welche
sich als schuldig oder mitschuldig an den gegen die exislirende Staatsordnung,
die Grundlagen des öffentlichen und Familienwesens, sowie die Eigenthums-
rechte gerichlelen Pläuen erweisen. Doch bei aller Euergie der Maßnahmen
der Regierung müsse letztere ihre Stütze in der Gesellschaft selbst finden.
Deßwegen rufe sie die Hilse aller Stände des russischen Bolkes herbei, um
das Uebel auszurotten, welches in falschen Lehren wurzle. Das russische
Volk und seine besten Vertreter müßlen durch Thaten beweisen, daß in ihrer
Mitte derartige Verbrecher keinen Platz haben, und der Regierung helfen, den
gemeinschaftlichen Feind auszurolten. Schließlich ermahnt die Regierung die
studirende junge Generation, die schweren Folgen reiflich zu überlegen, denen
leptere sich aussetze, indem sie die in ihrer Mitte verbreiteten falschen Doc-
trinen annimmt.
12. September. Die Russen beginnen sich aus der unmittel-
baren Umgebung Konstantinopels zurückzuziehen.