Uebersicht der polilischen Enlwichelnng des Zahres 1878. 507
Widerstand gegen den übermächtigen Gegner nach Kräften wenigstens
ermuntert. Aber auch England machie keine Miene, ihr thätigen
Beistand zu leisten. Unter diesen Umständen blieb dem Sultan
in der That nichts anders übrig, als sich zu beugen. Zu diesem
Ende hin trat Edhem Pascha, dem seine ganze bisherige Haltung
es unmöglich machte, zu Separatverhandlungen mit Rußland die
Hand zu bieten, am 11. Jannar 1879 als Großvezier zurück und
wurde durch Hamdi Pascha, der durch keine Vergangenheit gebunden
war und jedes Programm annehmen konnte, zu dem die Pforte
nun durch die jetzigen Umstände genöthigt werden mochte, ersetzt.
Der Sultan wandte sich nunmehr direct an die Königin von Eng-
land, um durch ihre Vermittelung von Nußland einen Waffenstill-
stand zu erhalten. Rußland war dazu geneigt, wies aber den
Sultan dafür an den Höchslcommandirenden der russischen Armee,
den Großfürsten Nikolaus, dessen Hauptquartier damals in Kesanlik
aufgeschlagen war. Dieser suchte indeß die Unterhandlungen in die
Länge zu ziehen, indem er erklärte, daß er nur in Adrianopel unter-
handeln werde, daß zugleich mit dem Waffenstillstand auch die Prä-
liminarien eines definitiven Friedens vereinbart werden müßten
und daß der Sultan zu diesem Behufe seine Unterhändler mit un-
beschränkten Vollmachten versehen möge. Die Pforte gab alles zu.
Demnach ertheilte sie den Befehl, Adrianopel ohne Schwertstreich zu
räumen und übertrug Server Pascha, dem Minister des Auswär-
tigen, und Namyk Pascha behufs der Unterhandlungen die von NRuß-
land geforderlten unumschränkten Vollmachten. Die Pforte ver-
zichtele damit auf ihr letztes Bollwerk zwischen den siegreich vor-
dringenden Russen und Gonstantinopel: jeder weitere Widersland
wurde aufgegeben und muhamedanische Flüchtlinge, die Haus und
Hof verließen, um nur ihr eigenes Leben mit Weib und Kind zu
retten, wälzten sich alsbald in Massen von Philippopel und Adria-
nopel her Constantinopel zu. Ihre Zahl wurde auf mehr als
150,000 Köpfe geschätzt und ihre Ankunft in der Hauptstadt ver-
breitete selbstverständlich Nolh, Angst und Schrecken und wurde zu
einem neuen Druck auf die Eutschließungen des Sultans. Am
21. Jannar rückten die russischen Truppen in Adrianopel ein, aber
erst am 31. Januar kam der Waffenstillstand nebst Friedenspräli-
minarien zu Stande. Die türkischen Bevollmächtigten fügten sich
in den letzteren unbedingt den Forderungen Rußlands: Bulgarien
sollte danach zu einem wesentlich unabhängigen, bloß tributpflichligen