Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

514 Kebersich! der polilischen Enlwichelung deo Jahres 1878. 
Durchfahrt durch die Dardanellen und den Bosporus in statu quo 
verbleibe. Damit war erreicht, daß die Herrschaft der Pforte in 
Europa vorerst noch möglich war, wenn auch keine Macht der Erde 
im Stande ist, sie auf die Dauer lebensfähig zu erhalten. England 
sah das so gut ein als Rußland, nur mit dem Unterschiede, daß 
England den unausbleiblichen Zerfall des türkischen Regimentes 
diesseits der Meerengen möglichst hinauszuschieben, Rußland dagegen 
Con, nach Kräften zu beschleunigen bemüht ist. Eben darum machte 
vention England an demfelben Tage, an dem es jene Convention mit Ruß- 
wihen land abschloß, dem Sultan den geheimen Vorschlag, es wolle ihm 
und der seine asiatischen BVesitzungen, Kleinasien, Syrien und Mesopotamien 
Morte gegen weitere Angriffe von Seite Rußlands garantiren, wenn er 
ihm die Insel Cypern, die für Englands Machtstellung im östlichen 
Mittelmeere und zum Schutze des ihm absolut nothwendigen Suez- 
canals äußerst bequem gelegen war, abtreten und sich überdieß zu 
Reformen in jenen Provinzen unter seinem Schutz und seiner Bei- 
hülfe herbeilasse, um dadurch die Pforte wenigstens als asiatische 
Macht wirklich und auf die Dauer lebensfähig zu machen. Die 
Pforte ging auch alsbald darauf ein und die dießfällige Convention 
wurde schon am 4. Juni abgesehlossen und ratifizirt: jene that es, 
um nur schnell der ihr daraus erwachsenden Ansprüche theilhaftig 
zu werden, ohne, nach ihrer Gewohnheit daran zu denken, auch ihrer- 
seits die ihr dadurch auferlegten Verbindlichkeiten zu erfüllen; wenig- 
stens blieb die Convention bis Ende des Jahres 1879 ein todter 
Buchstabe, außer daß die Insel Cypern etwas später England aller- 
dings überliefert und von diesem in Besitz genommen wurde. Die 
Türken sind und bleiben dieselben, die sie von jeher waren; ent- 
wickelt haben sie sich nicht, fortgeschritten sind sie im Grunde in 
keiner Weise: zu Reformen nach dem Bedürfnisse der Zeit und ihrer 
ganzen Umgebung und im Interesse der Bevölkerungen fehlt ihnen 
der gute Wille und offenbar auch die Fähigkeit und die Kraft. 
Der Für eine Conferenz oder einen Congreß der Großmächte, wie 
Verliner ihn Oesterreich fort und fort in seinem Interesse wünschte und für 
Gongrebdeeissen Zustandekommen es sich inzwischen fortwährend bemüht hatte, 
waren nunmehr die Wege geebnet. Und bald war man allseitig 
einig: es follte nicht eine bloße Conferenz, sondern ein förmlicher 
Congreß, also unter Theilnahme der leitenden Minister der ver- 
schiedenen Regierungen, sein und derselbe sollte in Verlin zusammen- 
treten. Die deulsche Regierung lud unter dem 2. Juni die Groß-
	        
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