Uebersicht der polilischen Enlwinelung der Jahreo 1878. 519
Anstrengungen und Opfer in Europa von der Türkei unmittelbar
eigentlich nichts, als die Dobrudscha, um sie gegen Bessarabien ein-
tauschen zu können und die Aussicht auf eine Kriegsentschädigung
Seitens der Pforte, von der es zum voraus fest stand, daß der ohne-
hin bankerotte Staat sie nie und nimmer werde bezahlen können.
Dagegen erhielt es in Asien einen guten Theil Armeniens, das durch
seine Lage ihm ällerdings sehr werthvoll ist, doch ohne die Haupt-
stadt Erzerum, wohl aber mit der Hafenstadt Batum. Diese Nuß-
land zu überlassen, siel England nicht ohne gute Gründe schwer und
Nußland erhielt sie auch nur unter der ausdrücklichen Vedingung
oder wenigstens Bestimmung, sie zu einem Freihafen zu machen, der
hauptsächlich für den Handel bestimmt sei. Rußland wird aber
ohne Zweifel Batum, sobald es kann, zu einem BVollwerk an der
Südküste des schwarzen Meeres erweitern, wie es sich ein besser
gelegenes und festeres kaum würde wünschen können.
Ueberblickt man die in den Protokollen niedergelegten Ver= Nesul.
handlungen und die Beschlüsse des Berliner Congresses als Ganzes,,
so wurde durch denselben allerdings so viel erzielt, daß die orien- Con=
talische Frage vorläufig gelöst oder vielmehr momentan erledigt aresies.
wurde. Rußland hat die Schaffung eines neuen bulgarischen Staates
erreicht, der nalürlich ganz und gar unter seinem Einflusse stehen
wird: aber es bleibt doch unmittelbar noch von der Balkanhalbinsel
ausgeschlossen; die Pforle wurde als ein möglicher Weise in Europa
lebensfähiger Staat erhalten und sowohl Oesterreich als Griechen-
land in den Sland gesetzt, den Bestrebungen der Slaven und den
Plänen Rußlands für die Zukunft ein Gegengewicht zu bilden.
Hält sich Rußland aufrichtig und gewissenhaft an den Verliner
Frieden, so könnte die orientalische Frage für einmal und für eine
längere oder kürzere Neihe von Jahren von der Tagesordnung ver-
schwinden. Wahrscheinlich ist es nicht. Gelöst wurde die schwierige
Frage durch den Verliner Congreß nicht: neue Vewegungen und
neue Kämpfe innerhalb der Vallanhalbinsel, denen die Mächte viel-
leicht nicht fremd bleiben können, stehen von vorne herein in ziemlich
sicherer Aussicht; darüber konnle sich Europa unmöglich täuschen
und täuschte sich auch nicht. Nur so viel steht fest, daß die sehr
complicirte Frage nicht von Nußland allein, das sehr ideale Zwecke
vorschiebt, aber sehr reale im Auge hat, gelöst werden darf. Die
ganze Frage ist zu einer definitiven Löjung überhaupt noch nicht
reis. Die Herrschaft der Türken in Europa ist auf die Dauer offenbar