Uebersicht der politischen Entwichelung deo Jahres 1878. 525
im allgemeinen Interesse und unter allgemeiner Zustimmung in
Aussicht getreten sei.
Das Jahr 1878 hat diese Hoffnung nicht bestätigt. Die
Stellvertretungsfrage wurde, zwar nicht ganz, aber doch im Wesent-
lichen nach den Wünschen des Reichskanglers durch die Unterstützung
der nationalliberalen Partei erledigt. Dagegen kam die in Auesicht
genommene weitere Verständigung und festere Verbindung zwischen
dieser und dem Reichskangler nicht nur nicht zu Stande, sondern
schlug bis gum Ende des Jahres sogar ins völlige Gegentheil um.
Als die Stellverkretungsfrage, so ziemlich ein Jahr, nachdem Tie
sie aufgeworfen worden, zur Entscheidung reif war, stand es bereitssseuber.
feslt, daß die Jdee von verantwortlichen Reichsministern nach den frage.
Wünschen der Fortschrittspartei eine Majorität im Reichstage nicht
finden werde. Dagegen erhob sich wider die Absichten des Reichs-
kanzlers von anderer Seite Widerstand. Nach dem Vorschlage des
Reichskanglers sollte „die ihm durch die Verfassung und die Gesetze
des Reiches übertragene Leitung in der Verwaltung, Veaufsichligung
und Bearbeitung der Reichsangelegenheiten, sowie die zur Gültigkeit
der Anordnungen und Verfügungen des Kaisers nothwendige Gegen-
geichnung durch Stellvertreter wahrgenommen werden können, welche
der Kaiser auf Antrag des Reichskanzglers für die Fälle der Ve-
hinderung desselben aus andern Mitgliedern des Bundesraths im
Allgemeinen oder für eingelne Amtszweige ernennt.“ In dem Au-
trage war Vorforge getroffen sowohl für einen Stellvertreter des
Kanzlers begüglich aller seiner Geschäfie, also einen förmlichen Vice-
kanzgler, als für die Stellvertretung des Kanzler begüglich eingelner
Ressorts oder Geschäfte, und ferner sowohl für die eigentlich leitende
als für die bloß beaufsichtigende Aufgabe des Kanglers. Unter allen
Umständen aber blieben die Stellvertreter vom Kangler absolut ab-
hängig, standen unter, nicht neben ihm, so daß dieser befugt sein
sollte, in jedem Augenblicke, wo er sich nicht mehr für behindert ansah,
selbst in das Ressort einzugreifen und directe Anordnungen zu tressen.
Der Bundesrath hatte gegen die Vorlage nichts einzuwenden und
genehmigte sie einstimmig, doch mit der bezeichnenden Einschränkung,
daß jede Stellvertretung ausgeschlossen ward für diejenigen Aemter,
bei welchen der Schwerpunkt der Geschäfte in die Beaufsichtigung
der Bundesstaaten fällt, als namentlich für die Justig, das Eisen-
bahnamt und einen Theil des Reichskanzleramtes, nämlich die
Finangen, in so fern sie nicht die Reichsfinanzen umjassen, weil die