Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

AUebersicht der politischen Enlwichelung des Jahres 1878. 529 
selbst über den öffentlichen Standpunct des Vundesrathes hinaus 
und wurde von ihm der bis dahin verhüllte Zielpunct bei Ein- 
bringung der Tabakvorlage in einer Weise enthüllt, die auf die 
Mehrheit des Reichstags einen überaus schlechten Eindruck machen 
mußte. Die nächste Folge davon war, daß die Majorität des Ab- 
Reichstags und namentlich die nationalliberale Fraction, obwohlehrung 
entschieden gegen das Monopol, zwar nicht gerade die Abweisung Tabar. 
der Vorlage von der Schwelle, sondern nur Verweisung der Vor— steuer. 
berathung an die Budgetcommission beschloß. Aber diese Verweisung 
hatte doch unzweifelhaft den Sinn einer rücksichtsvollen Ablehnung 
der Vorlage, indem die Nationalliberalen von allen Seiten darüber 
keinen Zweifel ließen, daß sie dieselbe, so wie sie beschaffen sei und 
ohne Ergänzungen hinsichtlich der beabsichtigten weiteren Steuer- 
reform so wie ohne die sog. constitutionellen Garantien, als unan- 
nehmbar erachteten. Der Reichskanzler antwortete darauf mit einer Tabal- 
Vorlage an den Bundesrath, nach welcher umfassende Erhebungen ue. 
über die Tabakfabrication und über den Handel mit Tabakfabri- 
caten angestellt werden sollten, Erhebungen, welche augenscheinlich 
dazu dienen sollten, die Einführung des Monopols vorzubereiten 
und zu erleichtern. So weit wollte der Bundesrath indeß noch 
nicht gehen: er genehmigte die Vorlage nur in dem Sinne, daß die 
Einführung des Tabakmonopols von der einzusetzenden Commission 
neben allen anderen Steuersystemen bez. des Tabaks wohl geprüft, 
aber vorerst doch noch als eine offene Frage behandelt werden 
solle. Der Neichskanzler gab sich damit zufrieden, da er auch so 
seinen Zweck im Wesentlichen doch erreichte. Ebenso fügte er sich 
dem Bundesrathe, als dieser in der Vorlage über seine Stellver= Tie 
tretung alle diejenigen Bestimmungen ausmerzte, nach welchen sicheriewver 
der Reichskanzler auch in denjenigen Functionen, die wesentlich in frage. 
der Beaufsichtigung der Einzelstaaten bestanden, durch einen Stell- 
vertreter hätte ersetzen lassen können, obgleich dadurch seine Idee 
einer engeren Verbindung zwischen der Reichsregierung und dem 
preußischen Staatsministerium zwar nicht unmöglich gemacht, aber 
doch sehr erschwert wurde. Im Reichstage stieß die Vorlage mit 
sammt dieser Beschränkung auf keinen allzugroßen Widerstand mehr, 
da ihre mögliche Tragweite nachgerade auf die Bedeutung eines 
bloßen Nothbehelfes zusammen geschrumpft war. Die Fortschritts- 
partei brachte zwar nochmals ihre Idee von verantwortlichen Reichs- 
ministern zur Sprache, wurde aber darin nicht nur vom Reichs- 
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