AUebersicht der politischen Eulwichelung des Jahrts 1878. 535
gegen das geheiligte Haupt des Kaisers mußte jedoch diese Illusionen
mit unerbittlicher Hand zerreißen; denn so viel lag auf der Hand,
daß sie in Wahrheit nicht dem Kaiser als Person, sondern als der
Spiße und dem Repräsentanten der bestehenden Staatsordunng ge-
golten hatte.
Der Reichskangler ließ daher ohne Verzug einen in aller Eile Erser
durch die preußische Regierung ausgearbeiteten Gesetzesentwurf gegen Sozia-
die Agitation und die Ausschreitungen des Sozialdemokratismus an Ah
den Bundesrath zur Vorlage an den eben am Schluß seiner Session entwurk.
angelangten Reichstag zugehen. Der Bundesrath beeilte sich gleich-
falls mit seiner Prüfung und so kam der Entwurf schon am 20.
Mai an den Reichstag. Darnach sollten Druckschriften und Vereine,
welche die Ziele der Sozialdemokratie verfolgen, vom Bundesrath
verboten und das Verbot öffentlich bekannt gemacht werden, über
welches demnächst der Reichstag zu beschließen habe sollte. Die
Verbreitung von Druckschriften an öffentlichen Orten, auf Straßen
und auf öffentlichen Plätzen sollte von der Ortspoligeibehörde vor-
läufig verboten werden dürfen, wenn die Drucksachen Ziele der be-
zeichneten Art verfolgen, und das Verbot erlöschen, wenn nicht inner-
halb vier Wochen die Druckschrift vom Bundesrath verboten werde.
Auch sollte jede Versammlung von der Ortspolizeibehörde verboten
oder nach ihrem Beginne vom Vertreter derselben aufgelöst werden
dürfen, wenn Thatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen,
daß die Versammlung sozialdemokratischen Zielen diene. Die Ver-
breitung einer verbotenen Druckschrift sollte mit Gefängniß bestraft
werden, die Beschlagnahme der Druckschrift ohne richterliche Anord-
nung erfolgen dürfen. Die Betheiligung an einem verbotenen
Vereine oder einer verbotenen Versammlung sollte mit Gefängniß,
nicht unter drei Monaten für die Leiter, bestraft werden. Das Gesetz
sollte nur für die Dauer von drei Jahren gelten. Die in dem
ursprünglichen preußischen Entwurfe enthaltene Bestimmung, nach
welcher jeder, der öffentlich durch Rede oder Schrift es unternimmt,
in Verfolgung der sozialdemokratischen Ziele die bestehende rechtliche
und sittliche Ordnung zu untergraben, mit Gefängniß nicht unter
drei Monaten bestraft werden sollte, war vom Bundesrath aus dem
Entwurf entfernt worden. In den Motiven wurde insbesondere be-
tont: die starke Ansbreitung der Sozialdemokratie in Deutschland,
die planmäßige Agitation und die Organisation des ihr dienen-
den Vereinswesens habe offenbar den Zweck, Ungufriedenheit in die