LUebersicht der polilischen Eniwichelung des Jahrts 18728. 559
Rückschritt in eultureller Beziehung wäre sie dieß noch mehr, wenn
es, wie gefürchtet wird, nur der erste Keil eines föderalistischen Au—
sturms gegen die Bundesverfassung sein soll. Der möglichst sonveräne
Particularismus der doch mit wenigen Ausnahmen so kleinen ein-
zelnen Glieder des Ganzen, der Kantone, hat sich in unserer Zeit
doch wahrhaftig völlig überlebt und ihm wird auch von dem Waadt-
lande schwerlich wieder das Uebergewicht verschafft werden können.
Holland verharrte in seinem relativen Stillleben. Die Confessions= Houand.
losigkeit der Volksschule hielten gegen einen Ansturm der Ultra-
montanen und der protestantischen Orthodoxen beide Kammern auf-
recht; die Vermählung des schon bejahrten Königs mit einer blut-
jungen Pringessin von Waldeck erregte, zumal bei den im Königs-
hause obwaltenden mißlichen Familienverhältnissen, Aufsehen und
fand nur eine sehr theilweise Billigung. Von Belgien und dem
bedeutfamen Umschwunge der öffentlichen Meinung gegen das cleri-
cale Regiment ist schon die Rede gewesen. In den scandinavischen#ie sau-
Slaaten machie sich die sog. Bauern= und Landmann-Partei wie dinavi-
schon in den letzten Jahren auch in diesem wieder bemerklich. Ingichen!
Dänemark ist dieselbe mit politisch-radiculen Elementen und Be-
strebungen verquickt und spaltete sich daher 1878 in einen mehr ge-
mäßigten und einen mehr radicalen Flügel, wodurch das Mini-
sterium Esmarch, das im Folkething sonst nur auf wenige Stimmen
zählen lonnte, sich dagegen auf die große Mehrzahl des Landsthings
stützte, vorerst wenigstens wieder Oberwasser erhielt. In Schweden
hat dieselbe Partei den Plan des Königs, die Armee einer wesentlichen
Reorganisation zu unterstellen, in den letzten Jahren zu Fall gebrachl
und legle in diesem Jahre nunmehr dem Reichstag einen eigenen Plan
zu demselben Zwecke vor, ohne jedoch damit durchdringen zu können.
Die Nothwendigkeit einer solchen Reorganisation läßt sich nicht be-
streilen, aber sie ist ohne bedeutende finanzielle Opfer von Seite des
Landes nicht zu erzielen und gerade die Finanzen Schwedens sind
neuerdings ohnehin in eine nicht unbedenkliche Bedrängniß gerathen,
während die Fortsetzung des Eisenbahnbaues in dem betriebsamen,
aber nur dünn bevölkerten Lande ein reelles Bedürfniß ist, aber
auch ansehnliche Summen in Anspruch nimmt.
Die orientalischen Dinge und die verschiedenen Fragen, in die
sie sich zerlegen oder die sich mit ihnen verknüpfen, nahmen Eng-
land und die zunächst an ihnen betheiligten Ostmächte, Rußland
und Oesterreich, auch nach dem Schlusse des Berliner Congresses
Schulthess. Gurop. Geschichtslalender. XIX. Bd. 36