Metadata: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

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beschlüsse seines Vorgängers bestätigt oder umwirft. In einem 
solchen Falle verwandelt sich interessanterweise das Veto des 
Reichsrats, das nach der Verfassung grundsätzlich nur ein suspen- 
sives sein soll, in ein absolutes Veto. Das tritt auch dann 
ein, wenn der Reichsrat gegen ein vom Reichstage kurz vor Ab- 
lauf der Legislaturperiode beschlossenes Gesetz nach deren Ablauf 
innerhalb der Zweiwochenfrist Einspruch erhebt. Denn daß ihm 
dies freisteht, unterliegt keinem Zweifel; wollte man anders ent- 
scheiden, so würde es der Reichstag in der Hand haben, das Ein- 
spruchsrecht des Reichsrats illusorisch zu machen, indem er die 
Erledigung aller Gesetzentwürfe der letzten Tagung bis an deren 
Schluß verschöbe®#. Bei alledem ist nur zu beachten, daß der 
Einspruch des Reichsrats nicht das Recht des Reichspräsi- 
  
  
ee Ob die Gliederung der Legislaturperiode in Sitzungsabschnitte 
von Bedeutung für das Einspruchsverfahren sei, ist zweifelhaft. POETSCH 
S. 87 scheint die Frage allgemein bejahen zu wollen. Ich glaube, man 
muß unterscheiden. Nach dem sog. Grundsatze der Diskontinuität der 
Sitzungsperioden können die in der früheren Session nicht erledigten Reichs- 
tagsgeschäfte in der neuen nicht ohne weiteres fortgesetzt werden. Das 
würde auch für ein unerledigt gebliebenes Einspruchsverfahren insoweit 
gelten, als der Reichstag in der nächsten Session nicht über einen ihm in 
der früheren vorgelegten Einspruch Beschluß fassen, und daß er nicht eine 
abgebrochene Beratung über einen Einspruch fortsetzen und durch einen 
Beschluß erledigen kann. Der Einspruch hätte also auch hier die Wirkung 
eines absoluten Veto erhalten; das beanstandete Gesetz müßte, wenn Regierung 
oder Reichstag Wert auf seine Verabschiedung legen, von neuem eingebracht, 
werden. Nur ist die Diskontinuität nicht verfassungsmäßig festgelegt; der 
Reichstag könnte sie also, möglicherweise durch eine Aenderung seiner 
Geschäftsordnung ad hoc, außer Acht lassen. Anders liegt es m. E., wenn 
der Reichsrat kurz vor oder kurz nach Ablauf der Sitzungsperiode Ein- 
spruch erhebt. Dieser Einspruch kann in der neuen Session nach Maßgabe 
des Art. 74, Abs. 3 behandelt werden. Denn die Vorlegung des Einspruchs 
und die „nochmalige Beschlußfassung“ sind nicht die Fortsetzung der erst- 
maligen Beratung über das Gesetz, sondern ein selbständiges Verfahren. 
Man darf sich nicht darauf versteifen, daß das Gesetz vor der Verkündung 
noch immer „Gesetzentwurf“ sei. Das ist nur in gewissem Sinne richtig. 
Der Entwurf ist nach der Annahme durch den Reichstag „Gesetz“ gewor- 
den, hat nur noch keine verbindliche Kraft. Es ist ganz korrekt, wenn 
Art. 74 von dem Einspruche gegen „die vom Reichstag beschlossenen Ge- 
setze* spricht.
	        
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