568 Uebersichl der polilischen Eulwichelung des Zahres 1878.
nommen und erreicht, als der öffentlichen Meinung zusagte, in
Rußland dagegen hatte sie nicht alles durchzusetzen vermocht, was
diese von ihr verlangt und erwartet hatte. Die Nation hatte die
gewaltigen Opfer, die von ihr verlangt worden waren, willig ge-
bracht, aber sie wollte sie auch nicht umsonst gebracht haben. Die
össentliche Meinung, so weit in Rußland von einer öffentlichen
Meinung die Rede sein kann, hat sich angewöhnt, auf das ganze
übrige Europa, so weit es nicht russischen Zwecken dienen will, gar
keine Rücksicht zu nehmen und bildet sich ein, daß das hl. Rußland
sich selbst vollkommen genüge und im Nolhfall ganz Europa ge-
wachsen sei. Das Zurückweichen von dem Vertrage von St. Ste-
sano hatte daher einen mächtigen Rückschlag auf Rußland selbst zur
Folge. Die panflavistische Partei war darüber sehr unzufrieden
und nicht nur diese Partei allein. Man darf wohl annehmen, daß
Kaiser Alexander, nachdem er einmal den Vereinbarungen des Ber-
liner Congresses zugestimmt, auch bereit war, sein gegebenes Wort
eingulösen. Aber er hatte einen schweren Stand: weder seine Re-
gierung in St. Petersburg, noch seine militärischen Gewalthaber in
der Türkei waren damit einverstanden und ihre Handlungen wie
ihre Sprache waren bei jeder Gelegenheit der Art, als ob es sich
nicht darum handelle, den Verliner Frieden, sondern vielmehr den
Vertrag von St. Stefano ins Werk zu setzen. Da aber England
fortfuhr, eine sehr entschlossene Haltung zu beobachten, und auch
keine der anderen Großmächte Lust hatte, die ganze Sache wieder
von vorn anzufangen, wurde es nach und nach doch immer wahr-
scheinlicher, daß sich Rußland schließlich werde fügen müssen. Die
Folge davon war ein allgemeines Gefühl von Unbefriedigtfein in
den weitesten Kreisen der russischen Gesellschaft, das von den längst
bestehenden geheimen Vereinen nach Kräften gegen die Regierung
ausgebeutet wurde. Ganz Rußland ist schon seit längerer Zeit von
solchen geheimen revolutionären Genossenschaften überzogen und unter-
wühlt, die sich tief in die Beamtenwelt hinein und in dieser hoch
hinauf, selbst bis in die Nähe des Kaisers verzweigen, ja sogar
schon in die Armee eingedrungen sind. Auf die große Masse der
Bauern kann sich der Kaiser freilich ziemlich unbedingt verlassen;
aber in allen höheren Klassen ist der patriarchalische Absolutismus
des Czaren ein völlig übervundener Standpunkt. Diesen Klassen
ist die Willkür und die Bestechlichkeit der Beamten nachgerade ganz
unerträglich geworden und sie verlangen einen Antheil an der Re-