Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunzehnter Jahrgang. 1878. (19)

68 Das deulsche Reich und seine einzelnen Glirder. (März 5.) 
Geschäfle besorgen zu können, dann glaub' ich, würden wir nicht fortwährend 
unseren Gesundheitszustand in dieser bedenklichen und erregenden Weise unter- 
graben. Als diese Vorlage eingebracht wurde, lag mir der Gedanke einer 
Berfassungsänderung außerordentlich fern. Der Reichslanzler war in dem 
ursprünglichen Verfassungsentwurfe für den norddeutschen Bund nicht mit 
den jeyigen Machtattributen belleidet, er sollte Das sein, was man in Fraul- 
furt einen Präsidialgesandten nannte, der seine Instruktionen von dem Mi- 
nister der auswärtigen Angelegenheiten empfing und ebenso das Präsidium 
hatte. Nun wurde durch den konstituirenden Reichstag die Bedentung des 
Neichskanzlers plöhlich zu der eines kontrasignirenden Ministers, und nach 
der ganzen Stellung blieb sie nicht mehr die eines Unterstaatssekretärs für 
deutsche Angelegenheiten im preußischen Ministerium des Answärtigen, wie 
ursprünglich die Absicht war, sondern wurde die eines leitenden Neichs- 
ministers. Dadurch entstand die von mir und meinem Vertreter v. Saviguy 
sofort erkannte Nothwendigkeit, daß deutscher Reichskanzler und prrußischer 
Minssterpräsident ein und dieselbe Person wein müsten. Es hat mich Das, 
ch fürchte, einen Freund gekostet), aber die Ueberzeugung war bei mir 
Rerchscshgene In den Berathungen des Neichstags waren nun unsere 
Amendements eingebracht, welche die Absicht hatten, die Stellvertretungsfrage 
zu regeln; allei n dieselben wurden ausdrücklich abgelehnt. Der Kontra— 
signaturpuntt in § 17 blieb einigermaßen im Unklaren. Ich erinnere mich 
ganz gut, weßhalb. Mir schien es, fast möchte ich sagen, nicht schicklich, so, 
wie die Verfassung lag, daß ein Reichsklangler mit der ministeriellen Kontra- 
signaturbefugniß sich ohne eine in der Verfassung ausdrücklich ausgesprochene 
Mitwirkung des Kaisers Jemanden substituiren lönne, den der Kaiser unn 
als kontrasignirenden Minister und die Hand des Kanzlers annehmen solle; 
ch habe damals darüber meine Immediatvorträge gehalten, welche Ihnen 
hriftlich ud“ „ miindlich den Beweis liefern, daß durchaus tein Vergessen 
vorlag, sondern ich habe Sr. Majestät gesagt: Alle Anträge über diese 
Dinge sind mit einer so geringen Majorität gefaßt, daß ich Bedenken trage, 
wieder daran zu rühren; wir könnten dann leicht zu einer unwersöhnlichen 
Disserenz kommen. Och bin sehr froh, daß wir etwas halbwegs Annehm-= 
bares, wenn auch nur mit einer Stimme Majorität, in der Beziehung ge- 
wonnen haben, ohne zu einem Bruche der Verhandlungen mit den Regie- 
rungen zu kommen, die wir unmöglich vergewaltigen konnten, ohne über Das, 
wozu sie zugestimmt haben, hinanszugehen. Es stand schon damals fest, 
daß die verbündeten Regierungen nicht auf die Anträge eingegangen wären, 
die damals mit einer Stimme Majorität abgelehnt wurden. Ich habe deß- 
halb darauf verzichtet, eine deutlichere Bestimmung über die Stellvertretunge- 
frage auch im § 17 auguregen, indem ich Sr. Majestät dem Kaiser sagle: 
Das ist eine Sache, die man ja in der dienstlichen Praris reguliren kann. 
Der Kaiser, oder damals das Präsidium, der König von Preußen, kann dem 
Kangler befehlen iich verlange jedesmal, eine Genehmigung zu geben", und 
der Raiser kann Den, der sich nicht fügen will, au jedem Tage entlassen. 
Es ist nicht nöthig, daß das Schicklichleilsbedürfniß erfüllt wird auf die 
Gefahr hin, daß eine Majorikät mit einer Stimme gegen uns in einer kitz- 
ligen und schwierigen Sache sich bildet. Ich bin also niemals zweifelhaft 
gewesen, zehn Jahre lang nicht, daß ich als Kanzler gang berechligt wäre, 
durch Substitution mit kaiserl. Genehmigung mir einen Gesammt= Stellver- 
treter zu schaffen, auf den auch die Kontrasignatur übergehen würde. Ick 
war mir von Hause aus um so weniger zweifelhaft darüber, als der Neichs- 
  
  
  
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sirebi *) Hrn. v. Savigny, der den Posten eines Bundeskanglers für seine Person an- 
reble.
	        
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