Das deutsche Reich und seine einzelnen Glirder. (Märg 5.) 69
kanzler — ich will sagen, mindestens bis zu der neuen Nevision der Ver-
fassung von 1870, vielleicht sogar bis zum Erlaß des Reichsbeamtengese l
von 1873 — einfach ein preußischer Beamter war. Er war Beamter
Königs von Preußen, in dessen Eigenschaft als „Präsidium“, wie man "n
neulich bezeichnet hat. Es konnte mir also gar kein Zweiel beikommen,
daß nicht auch diesen preußischen Präsidialminister jeder Andere unter Um-
sländen auch in der Kontrasignatur werde vertreten können. Es kam dazu,
daß ich einfach jahrelang danach gehandelt habe. Es ist eine ganze Anzahl
von königlichen Verordnungen, von Beamten-Ernennungen, sogar solcher, die
nach den jeßzt aufgetauchten Streitigkeiten sehr zweifelhaft ee können,
erfolgt. Wenn es zweifelhaft ist, ob man die Competenz eines Richters vom
obersten Reichsgericht anfechten kann, wenn dessen Ernennung nicht vom
Kangler kontrasignirt ist, sondern von dessen Stellvertreter, so sind Das
Fragen, die nachher erledigt werden müssen. Der Neichskangler führt dann
aus, wie erst die Debatte des vorigen Jahres über sein Urlaubsgesuch die
Wurecng zu den Zweifeln über seine Kontrasignatur gegeben habe; damals
habe der Staatsminister v. Bülow zugegeben, daß in der Konlrasignatur
eine Vertretung dicht beabsichtigt sei. Um aber allen Zweifeln entgegen-
zutreten, sei die Vorlage ausgearbeitet worden. In Bezug auf die Vertretung
durch die Chefs der einzelnen Ressorts sei die Interpretation zweifelhafter,
als in Betreff der Gesammtvertretung. Das Bedürfniß einer Vertretung in
den Reisorts brauche wohl nicht erst motivirt zu werden; es handle sich
dabei um die Geschäftserleichterung. Die Verwaltung von Elsahz-Lothringen
erfordere die meisten Kontrasignaturen. Der Gesammtstellvertreter sollte immer
derjenige sein, der stellvertretender Ministerpräsident in Preußen ist; denn
er, der Neichslangler, habe selbst gesehen, wie schädlich es sei, wenn der Ein-
fluß des Reiches in Preußen kein genügender sei. Der Neichskanzler geht
daun darauf ein, wie zwischen dem Finanzministerium Preußens und der
Finanwerwaltung des Reiches eine gewisse Verbindung bestehen müsse.
Denn die Zeiten des finanzkundigen Ministers 7 Delbrück seien vorüber und
ie Stellung des Reichskangleramtes eine andere geworden. Aus den jeyigen
Unbequemlichkeiten könne nur die Bildung eines Reichsfinanzamtes Grralnn=
helfen; ähnlich, wie es in Bezug auf die Kriegsverwaltung bereits geschehe,
solle der Schatzsekretär des Reiches gehalten sein, die Vorlagen nur mit
Gegenzeichnung des preußischen Finanzministers zu machen. Große Diffe-
renzen würden dabei nicht entstehen, wenigstens seien sie in Bezug auf das
Kriegsdepartement nicht entstanden. Der Schatzsekretär sei dabei nicht etwa
überflüssig, sondern er müsse seine Reichsbeamtenqualität den Einzelstaaten
gegenüber haben, damit diese nicht gezwungen seien, an das preußische Mini-
slerium zu gehen. Zur Bildung eines Reichsfinanzamtes gehörten aber auch
Finanzen. Die Masorität könnte umgekehrt sagen: erst ein Reichsfinanzanit,
dann die Finanzen. Das sei ein circulus vitiosns. Der Reichskanzler weist
dann mit Entschiedenheit zurück, daß im Reichstage die Steuervorlagen nur
dann zur Annahme gelangen sollten, wenn in Preußen ein erweitertes Steuer-
bewilligungeracht Aungestanden würde. Das sei Sache des prenßischen Land-
es. Uebrigens begreife er gar nicht, was die Negierung Preußens, im
sa die Einnahmen aus den Steuern die Ausgaben überschritten, mit dem
übrigen Geld ohne Bewilligung des Landtages machen solle; es müßten dann
nokhwendiger Weise an die Provinzial-, Kreis= und Kommunal-Verbäude
Stenern abgegeben werden. Dieses Vertrauen müsse man der preußischen
Regierung schenken. Was würde man dazu sagen, wenn man bei einer poli-
tischen oder wirthschaftlichen Frage dem baerischen Landtage zumuthen wollte,
erst sein Steuerbewilligungsrecht nach Art des Artilels 109 der preußischen
Verfassung einzuschränken? Man müsse zur desihel. Regierung Vertrauen