Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

Das deuische Reich und feine einzelnen Glieder. (Oct. 30.) 265 
geschniten, auf eine Vereinigung der übrigen gemäßigten Gruppen mit den 
onservativen hinzuwirken. Es wurde demzufolge den Nationalliberalen die 
Liste v. Bennigsen, Graf Bethusy, v. Köller vorgeschlagen und von diesen in 
loyalster Weise angenommen, obwohl sie dabei für Graf Bethusy geen ihren 
eigenen Fractionsgenossen v. Benda * stimmen halten. Dabei sollte letzterer 
trotz persönlicher Abneigung, di durch Gegner anzunehmen, doch eine 
Wahl zum ersten Vicepräsidenten ahl ausschlagen, um den Schein zu ver- 
meiden, daß die nationalliberale Partei die positive Mitwirkung an den 
legislatorischen Arbeiten ablehne. An Erfolg war, nachdem bekannt geworden, 
daß ein großer Theil der Fortschrittspartei weiße Zettel abgeben wolle, nicht 
zu denken; übrigens würde ein unter Mitwirkung der Letteren erfochtener 
Sieg an Vedeutung wesentlich verloren haben. So beitt denn das Abgeord- 
netenhaus ein Prüsidium, zu dessen Wahl in erster Linie das Centrum mit- 
gewirkt hat. Deun in der ultramontancconservativen Coalition überwiegt 
das Centrum mit den Polen nicht allein numerisch (114 gegen wenip über 
100), sondern auch durch seine größere Geschlossenheit und längere parlamen- 
tarische Praxis. 
Die Regierung legt dem Hause einen Gesetzesentwurf vor, 
durch welchen sie ermächtigt wird, die Verwaltung und den Betrieb 
der Berlin-Stettiner, der Magdeburg-Halberstädter, der Hannover- 
Altenbekener und der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft zu über- 
nehmen und Staatsschuldverschreibungen in dem erforderlichen Be- 
trage (ca. 370 Mill. 40) auszugeben, und ferner einen Gesetzentwurf 
betr. Erweiterung der Staatseisenbahnen und die Betheiligung des 
Staates bei mehreren Pri 
Die Vorlage ist von umfassenden Motiven beglette. „Was bie Oppor- 
tunität der Durchführung des Staatseisenbahnsystems betrifft — heißtt es in den- 
elben — so ist das reine Statseisenbahnsystem allein dasjenige, welches 
Aufgaben der Eisenbahnpolitik des Staates, die einheitliche Regelung fnner 
halb des Staatsgebietes und die Förderung der betheiligten öffentlichen In- 
teressen vollauf zu erfüllen vermag. Nur in dieser Form ist eine wirth- 
schaftliche Verwendung des Nationalkapitals möglich; nur in dieser Form 
ist zugleich die unmittelbare und wirksame Fürsorge des Staates für die 
seinem Schuß anvertrauten öffentlichen Interessen denkbar, nur so bietet sich 
die Möglichkeit einfacher, billiger und rationeller Trausporttarife, die sichere 
Verhinderung schädigender Differentialtarife, eine gerechte, rasche und tüchtige, 
das allgemeine Beste bedachte Verwaltung. Es muß daher das Staats- 
bahnsystem als der Abschluß der Entwicklung des Eisenbahnwesens angesehen 
werden. In Preußen, welches alle Vorbedingungen für eine große einheit- 
liche, staatlich geleitete Betriebsverwaltung in hohem Maße vereinigt, dessen 
beschränkte Hilfsquellen, dessen wirthschaftliche Lage eine vorsichlige und maß- 
volle Verwendung seiner Kapitalkraft gebieterisch erheischt, drängt die Ent- 
wicklung des Eiseubahnwesens nothwendig und unter den gegenwärtigen 
wirthschafllichen Verhältnissen mit doppelter Stärke zu derjenigen Gestal- 
tungsform, welche den Bedürfnissen und Entwicklungsbedingungen gleicher- 
weise rz und deren endliche energische Durchführung durch die jehige 
Vorlage gesichert werden soll. Die Lage und die Aussichten der meisten in- 
ländischen Eienbahnen lassen die Verstaatlichung erwünscht erscheinen, wäh- 
rend der günstige Credit des Staates das Mittel zu einer für beide Theile 
vortheilhaften Transaction gewährt. Hat der Staat bisher auch die Privat- 
5s„ 
 
	        
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