Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

146 Dos doulsche Reich und seine einzelnen Elieder. (Mai 8—10.) 
schlüssen, die heute gefaßt werden können, eine practische Tragweite nicht 
beilege und dennoch mich an der Debatte unter perfönlichen Schwierigkeiten 
betheilige, so kann ich darauf nur erwidern, daß es mir ein Bedürfniß ge- 
wesen ist, doch noch einmal in meinem Leben von dieser Stelle aus die Per- 
spective auf den Reichstag zu haben (Heiterkeit) und zu ihm zu reden und 
noch einmal, wie ich es eben schon gethau habe, von hier aus Zeugniß ab- 
zulegen für die nationalen Bestrebungen und Zeugniß abzulegen gegen die 
particularistischen und Parteibestrebungen, die der Entwickelung des Reichs 
im Wege siehen; und wenn ich nicht in der Lage sein werde, dieses Fruh 
von dieser Stelle her zu wiederholen, so glaube ich, wenn Gott mir 
Leben gibt, doch vielleicht in der Lage zu sein, von denselben Sitzen, 
Sie sihen, hernach auch dem großen Grnntn der Nationalität, der uns 10%“ 
10 Jahren noch beinahe alle begeisterte, auch dann als Neichstagsmitglied 
Ausdruck geben zu können, auch gegen eine particularistische Handhabung 
der Reichsverfassung, die etwa dann von hier aus vertreten werden könnte. 
(Bewegung.) Es ist also wesentlich meine Sorge für die weitere Entwicke- 
lung unfserer Neichsverfassung und mein Bedürfniß, sie, soweit es an mir 
— ein eingelner Mann kann da nicht viel thun — liegt, vor Stillstand, 
ja vor Rückläufigkeit zu bewahren, die mich herführt, und ich muß sagen, 
wenn ich sehe, daß mein thätigster und bedentendster Mitarbeiter, den ich 
bei der Herstellung der Reichsverjassung gehabt habe, heutzutage Arm in 
Arm mit dem Cenkrum und mit den Parteien, (Widerspruch links) die da- 
mals gegen die Neichsverfassung waren, mir gegenüber tritt, so habe ich das 
Gefühl, daß die rückläufige Bewegung, die Minderung der Begeisterung für 
die nationale Entwickelung, die damals uns alle, alle beherrschte, einen ganz 
außerordentlich weiten Weg schon zurückgelegt hat. Ich kann ihn nicht auf- 
alten, aber ich kann wenigstens meine Stimme als Warner von einer 
Stelle ber, wo ich sicher bin, gehört zu werden, gegen diese Wege erheben. 
Ich weiß nicht, ob der Boden der Reichsverfaffung fest genug ist, ob der 
Baum, den sie bildet, fest geung gewurzelt ist, um zur Unterlage derjenigen 
Parteilänpfe und particularistischen Strebungen zu dienen, welche heutzu- 
tage auf demselben ausgefochten werden sollen. Es ist meines Wissens das 
erste Mal, daß wir uns vor einer Verfassungsfrage zwischen Bundesrath 
und Neichstag befinden, wo der Reichstag im Begriff ist — wenigstens hat 
die Majorität Ihrer Commission sich dafür entschieden —, dem Bundesrath 
ein Recht zu bestreiten, welches im Verfassungsrecht ganz zweisellos festsleht 
und für welches die preußische Regierung auf jede Gefahr hin einzutreten 
entschlossen ist. Es ist das erste Mal, es ist auch das erste Mal, daß im 
Bundesrath der Antrag, Verfassungsstreitigleiten durch Majorilätsbeschluß 
zu zentscheiden, so weit getrieben worden ist, daß nur die Machlvollkommen= 
heit, die mir nach der Verfassung in Bezug auf die Leitung der Geschäfte 
beiwohnt, mich in den Stand gesetzt hat, weitergehende Abstimmungen dar- 
über zu verhindern. — Ich komme auf die Gefahr, die darin liegt, zwischen 
den Bundesregierungen Zwietracht zu säen, nachher zurück; ich will mich 
hier nur einstweilen zu der Constellation wenden, die uns — ich meine, den 
Vertretern der Reichspolitik — in dieser Session etgegeugetreten ist. Unser 
Hauptsegner ist die Partei des Centrums gewesen. Das Centrum hat seit 
sechs Monaten in allen Fragen des preußischen Landtags und in allen Fragen 
des Reichs ausnahmslos mit wenig Discussion und wenig Aufwand von 
Argumenten geschlossen gechen die Regierung gestimmt. Das ist ein Gegner, 
der an und für sich so stark, so disciplinirt ist, daß er von seinen über 
hundert Mann an den meisten Tagen reichlich die Hälfte der Präsenz-- 
zahl, die kunn in diesem Jahre üblich war, zu siellen im Stande 
ist. Das ist ja eine sehr gewichtige Thatsache, mit der gerechnet werden 
  
  
er EC. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.