Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

148 Das deulsche Rtich und seine einzelnen Glieder. (Mai 8—10.) 
Gewißheit seiner Opposition und bei dem nuregelmäßigen Besuch des Reichs- 
tags, eine Jiemlich kleine Anzahl von Gegnern der Regierung in einer be- 
stimmten „Sache hinreichend, um die Majorität gegen die Regierung zu 
sichern. Die Bereitwilligkeit, von dieser immer bereiten Opposition des Cen- 
trums Gebrauch zu machen, gewissermaßen auf die Schultern des Centrums 
zu springen, um von dort aus die Regierung zu bekämpfen, hat doch ihr 
sehr Bedenkliches, meine Herren! Alle diejenigen Parteieu die das Reich 
haben bilden und bisher vertreten helfen, — haben die wirklich dabei zu 
gewinnen, in diesem Kampf die Bundesgenossenschaft eines mächtigen Ele- 
ments zu suchen, welches seinen Frieden mit uns, wie ich mit Bedauern 
wahrgenommen habe, noch nicht zu machen an der Zeit hält: Haben Sie 
sich nicht überlegt, was für Folgen und Rückwirkungen das auf die Neichs- 
versassung und auf ihre fernere Entwicklung, auf die Auffassungen der Re- 
gierung, auf die Pesfunge haben muß, mit denen die Regierung in die 
Zukunft sehen mu? — Ich erwähnte schon vorhin, ich halte den Boden, 
auf dem das Reich gegründet ist, noch nicht gewachsen und solide genug, 
um mit dieser Vergessenheit, mit dieser Sicherheit sich der deutschen Nei- 
gung hinzugeben, der Regierung Opposition zu machen. Gegen die Regie- 
rung mit allen Mitteln zu kämpfen, ist ja ein Grundrecht und Sport eines 
jeden Deutschen, und wenn man da einen allezeit bereiten Bundesgenossen 
findet, der alles mitmacht, so ist das sehr willkommen für Jemand, der etwas 
gegen die Reichsregierung hat, aus besonderen Gründen, aus Ueberzeugung 
oder aus Fractionsgründen. Ich wende meine Klage gegen keine Fraction 
insbesondere; jede hat geglaubt, ab und zu am Centrum eine feste Anleh- 
nung nehmen zu können und hat sich gewundert, aber nach kurzer Zeit ge- 
wundert, wenn die Wand, an die sie sich zu lehnen glaubte, eine Schwen- 
kung machte. Jeder greife da in seinen eigenen Busen. Aber die Fortsetzung 
dieses Systems, die Partei, mit der zu meinem Bedauern ein principieller 
Zwiespalt herrscht, als einen willkommenen Krystallisationspunct für jedes 
Oppositionsgelüste zu benüten, halte ich für die Reichsverfassung. W fh, 
namentlich verderblich im Sinn der Liberalen, noch mehr, als im Sinn der 
Conservativen. Ich werde Ihnen wachher sagen, warum; — aber ich richte 
befonders an die liberale Partei die Frage: ist es nützlich, Verfassungsent- 
hridngen anzuregen und bis 8 äußersten zu verfolgen, den unei auf 
das i zu setzen im Streit zwischen Reichstag, und Bundesrath? Ist es nüt 
lich, den Partienlarismus zu unterstützen? Er ist genug hne Sie, 
meine Herren! Die Haltung der Majorilät der Commission, wie sie vor- 
liegt, appellirt an den Particularismus und banze zweifellos nicht ohne Er- 
olg. Es gibt Regierungen, die aus particularistischen Bedürfnissen, weil 
sie sagen: jedes Sonderrecht wollen wir bereitwillig schüben, denn wir haben 
auch Sonderrechte, und deshalb wollen wir es hier mit dem Buchstaben der 
Bundesverfassung nicht so genau nehmen, wir sind also bereit, die vorhan- 
dene Opposition im Reichstag zu stützen, mag sie aussehen, von wem sie 
will, für sie mit einzutreken, das Hemd ist uns näher als der Rock, es geht 
uns der Particularismus über die Reichsinteressen. Es finden sich auch an- 
dere Regierungen, die sich durch den Reichstag einschüchtern lassen, — die 
Furcht vor parlamentarischen Unannehmlichkeiten ist ja bei den meisten Voe 
Ptitern und auch bei denjenigen, die uihr ganzes Leben darunter Kaebracht 
haben, vielleicht viel größer, als sie bei mir ist. (Heiterkeit.) — Ich habe 
in meinem Leben Gelegenheit gehabt, meine Probe dahin zu machen, daß 
ich mich nicht überlaufen lasse; ich habe mich weder von parlamenta- 
rischen noch von particularistischen Bestrebungen überlaufen lassen, und ich 
hoffe, Gott wird mir auch für mein jehiges Allers, obschon ich körperlich 
geschwächt bin, die geistige Energie nicht verkümmern, daß ich jedem solchen 
  
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