150 Hos deutsche Reich und seine einzelnen Glirder. (Mai 8—10.)
mehr jung, ich habe gelebt und geliebt (Heiterkeit), — gesochten auch und
ich habe keine Abneigung mehr gegen ein ruhiges Leben. Das Einzige, was
mich in meiner Stellung hält, ist der Wille des Kaisers, den ich in seinem
hohen Alter gegen seinen Willen nicht habe verlassen können, — versucht
habe ich es mehrmals. Aber ich kann Ihnen sagen, ich bin müde, kodt-
müde, und namentlich, wenn ich erwäge, gegen was für indernisse ich
kämpfen muß, wenn ich für das deutsche Reich, für die deutsche Nation, für
ihre Einheit eintreten will. Ich will das nicht charbcern, ich würde
den Gleichmuth verlieren; aber ich möchte die Parteien darauf aufnerksam
machen: ich muß, wenn ich dem Kaiser vorschlage, die Last, die ich nicht zu
tragen vermag, in andere Hände zu geben, doch Vorschläge machen; ich bin
auch überzeugt, daß Seine Majestät nach dem langen Vertrauen, was mir
geschenkt worden ist, auf diese Vorschläge einige Rücksicht nehmen wird.
Nun, wenn ich sehe, daß die Macht des Centrums unüberwindlich ist, daß
die Zerissenheit aller übrigen Deutschen die gleiche bleibt, so muß ich in
meinem Interesse für den inneren Frieden, wenn ich zurücktrete, Seiner
Maj estät vorschlagen, das Cabinet, welches mir nachfolgen wird, in einer
Sphäre zu suchen, der es Möglich sein wird, die Wünsche des Centrums
und die der conservativen Parteien mit einander zu vereinigen. Wenn ich
die Hoffnung, daß, weil ich mich dem System, welches das Centrum ver-
tritt, nicht unterwerfen kann und auch glaube, daß mit den Ansprüchen, die
die Herren vertreten, der Friede in Preußen dauernd nicht zu finden sein
wird, wenn sie die Ansprüche nicht modificiren — — ich will es ihnen
wünschen, mir ist es ja ziemlich einerlei, ob nach mir „Fortschritt und
Freihandel"“ meinen Nachfolger auf den Weg nach Canossa drängen, ich
kann es aushalten so gut wie Andere; der andere Weg ist nur dann mög-
lich, wenn alle diejenigen, die mit den Bestrebungen der Centrumspartei
nicht einverstanden sind, ihrerseits geringere Streitigkeiten, als diejenigen,
die die Erhaltung und Fortbildung des Neichs betreffen, so lange ruhen
lassen; kurz, wenn die ganzen liberalen Parteien sich dazu entschließen können,
dem Centrum die Heerfolge absolut und für immer zu versagen. Können
sie das nicht, dann sind meine Voraussichten trübe; können sie das, so will
ich meine letzten Kräfte dem Streben dazu widmen, — aber ich kann jeden
Mißerfolg so ruhig mit ansehen, wie irgend einer von Ihnen. Ich weiß
nicht, warum mir 105 deutsche Reich und seine Zukunft näher slehen follte,
als irgend jemand unter Ihnen. Sie sind alle Deutsche; Minister kann
jeder nh eit lang sein und nicht mehr sein; daß ich * ein stärkeres
Interesse als andere Deutsche am Neich haben müßte, weil ich zufällig lange
Kanzler gewesen bin, das glaube ich nicht, wenn ich mich auch nicht zu der
saturnischen Politik meines früheren Collegen, der vor mir gesprochen hat,
verstehen kann — das nicht! so ruhig zusehen, daß das deutsche Reich, wel-
ches ich mit Aufwand meiner Lebenskraft habe begründen helfen, zurückgeht,
das vermag ich nicht. In meinem Alter wird man aber ruhiger und stiller,
ich habe ein Bedürfniß nach beschaulicher Einsamkeit, — dann richten Sie
sich das Reich ein, wie Sie wollen, aber verlangen Sie meine Mitwirkung
nicht, wenn jeder sich für berechti ist, und berufen hält, die Grundlagen des
Beich in Frage zu stellen."“ (Lebhaftes Bravo rechts, Zischen links und im
entrum.
Ein Rückblick auf den Verlauf der Session des Reichstags
ergibt ein sehr geriuges positives Resultat. Von größerer Bedenle# sind
eigentlich nur der Etat für 1880/81, die Militärnovelle und die Verlänge-
rung des Speialistengeiebes, Die Budgetverhandlungen wickelten sich dieß-
mal glatt und rasch ab — als ob sie den Beweis liefern sollten, wie schwach
begründet jene Vorlage fei lros im Hinblick auf die angebliche Lang-