170 Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 26.,
die bejahende Beantwortung dieser Frage auch den letzten Anhalt zerstört,
so daß der Herr Reichskangler sich von den Verhandlungen mit dem Vatikan
gegenwärtig. kein Ergebniß verspricht. Die Hoffnung des Reichskanzlers auf
einen günstigen Erfolg der Unterhandlungen ist durch das Verhalten des
Centrums geschwunden. Die Erklärung, daß der roiche Stuhl keinen Ein-
fluß auf das Centrum besize, findet bei uns nicht Glauben. Eure Durch-
laucht wollen gefälligst hinzufügen. das die Remedur durch eine veränderte
Haltung des Centrums auf dem Terrain des Reichstags, bei dem bald be-
vorstehenden Schlusse der Session, nicht mehr möglich und auf dem Terrain
des bevorstehenden Landtages nicht wahrscheinlich sei. Habe der Papst wirk-
lich keinen Einfluß auf das Centrum, was helfe der weltlichen Regierung
dann eine Verständigung, die ihn zufrieden stellte: So wenig es auch mit
den wiederholten gegen uns und öffentlich abgegebenen Versicherungen der
Kurie von ihren erhaltenden Bestrebungen verträglich scheint, so konsequent
sehen wir doch das Centrum mit den sozialistischen und fortschriklichen
Nepublikauern in . monarchischen Deutschland zusammengehen.
ug aus einer Depesche Bismarcks an euß:
Berlin, r 14. M ai. In Beantwortung der reällig Berichte N 177
und Nr. 196 über Curer Durchlaucht Unterredungen mit dem Pronuntius
am 5. und 22. v. Mts. habe ich zunächst daran zu erinnern, daß die De-
pesche des Kardinal-Staatssekretärs vom 23. März und der Staatsministerial-
beschluß vom 17. desselben Monats, welchem das Breve vom 24. Februar
zu Grunde liegt, einander dergestalt gelreuzt haben, daß die erstere am 4. April
zu unserer, der letztere am 6. April zu des Pronuntius Kenntniß gelangt
ist. Während auf die Mittheilung des Staatsministerial-Beschlusses die
amtliche Antwort der Kurie noch aussteht, ist die Depesche vom 23. März,
sind insbesondere die darin gestellten drei Fragen von dem preußischen H errn
Cultusminister und demnächst in einer neuerlichen Berathung des königlichen
Staatsministeriums mit der achtungsvollen Sorgfalt erwogen worden, welche
einer auf den ausdrücklichen Befehl Seiner Heiligkeit erfolgten Meuherung
gebühren. Der Widerstand gegen die kirchenpolitischen Gesetze ist aus dem
Kreise des höheren Klerus in die Vertretungskorper verpflanzt worden durch
die Centrumsfraktion, die sich als Anwalt der katholischen Interessen, als
dem päpstlichen Stuhle unbedingt ergeben gerirt, eine erhebliche Anzahl von
Priestern enthält und zum größten Theil uunter priesterlichem Einfluß gewählt
ist. der Bekämpfung jener Gesetze, während sie berathen wurden, von
n Vorlanen nach ihrer Aufhebung, seit sie verfassungsmäßig zu Stande
gekommen waren, ist diese Fraktion allmälig zu einer grundsätzlichen Oppo-
sition gegen alle Vorlagen und Maßregeln der preußischen und der deutschen
Regierung übergegangen. Nur in der Tarifreform stimmte das Centrum im
vorigen Jahre ausnahmsweise für die Regierung. Ich hatte aus dieser An-
näherung das Vertranen geschöpft, daß unsere Verhandlungen mit Rom mehr
als früher Aussicht auf Erfolg hätten und war denselben bereitwillig näher
gekreten. Dieses mein Vertrauen hat der Entmuthigung weichen müssen,
nachdem während der abgelaufenen Session des preußischen Landtags das
Centrum in Aungelegenheiten, welche nicht entfernt das kirchliche Gebiet be-
rühren, geschlossen die Regierung bekämpft und jede reichsfeindliche Bestrebung
unter seinen Schutz genommen Sotl Am auffallendsten war das bei der Be-
rathung über die Verlängerung des Geleser gegen die gemeingefährlichen
Bestrebungen der Sozialisten. Obgleich diese Bestrebungen erst in dem Breve
vom 24. Februar in Uebereinstimmung mit vielen vorangegangenen Kund-
gebungen des päpstlichen Stuhles auf das Nachdrücklichste verurtheilt waren,
obgleich in einem Schreiben des Kardinal-Staatssekretärs vom 23. Jannar 1879
an mich unter den erfreulichen, seit der Thronbesteigung Seiner Heiligkeit