Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 26.) 171
erreichten Resullaten die offene und lante Erklärung der katholischen Unter-
thanen ihres vollen Vertrauens und ihrer völligen Ergebung in den Willen
des heiligen Stuhles hervorgehoben ist: so hat doch das Centrum unter dem
Vorwande, die Sozialisten allerdings bekämpfen zu wollen, nur nicht gerade
so, wie die Regierung es wolle, mit den Sozialisten gestimmt, während andere
Parteien, soweit sie nicht auch auf einen Umsturz hinarbeiten, ihre sonstigen
Meinungsberschiedenheiten vergessend, die Verlängerung des Gesetzes genehmigt
haben. Mit diesem Verhallen der katholischen Fraktion steht das entgegen-
kommende der preußischen Negierung in eigenthümlichem Kontrast, indem
diese Regierung innerhalb des ihr gelassenen Spielraumes eine zunehmend
milde Praris in der Anwendung der kirchenpolitischen Gesetze bis auf den
heutigen Tag hat walten lassen, wie das anliegende Verzeichniß der be-
treffenden Maßnahmen nachweist. Es drängt sich die Frage auf, ob der
päpstliche Stuhl nicht den Willen oder nicht die Macht hat, die klerikale
Fraktion von der Beschühung derjenigen Bestrebungen abzuhalten, die er
selbst so entschieden verdammt. Jedenfalls hat dieje Wahrnehmung bei der
königlichen Regierung die Hoffnung, daß das Entgegenkommen ein gegen-
seitiges sein werde, und das Vertrauen, daß die Verhandlungen in jetziger
Sachlage zur Versländigung führen werden, wesentlich abgeschwächt. Dem-
ungeachtet wird die königliche Regierung in derselben friedliebenden Gesin-
nung, welche sie den ersten Eröffnungen Seiner Heiligkeit entgegenbrachte,
und in der Theilnahme, welche sie stets für die verwaisten Gemeinden em-
pfunden hat, nicht länger zögern, aus ihrer eigenen Initiative heraus die-
jenigen Maßregeln den gesehygebenden Faktoren vorzuschlagen, welche mit den
unveräußerlichen Rechten des Staates verträglich sind und nach ihrer Ueber-
zeugung und nach ihren Wahrnehmungen an anderen Ländern die Wieder-
herstellung einer geordneten Diözesanverwaltung und die Abhülfe des ein-
getretenen Priestermangels möglich machen. Ueber den Moment, in welchem
wir die Verhandlungen mit der Kurie fortsetzen können, werden“ wir uns zu
erklären erst im Stande sein, nachdem der Landtag über die beabsichtigte
Vorlage entschieden hat, was, wie wir hoffen, in wenigen Wochen der Fall
sein wird. Es wird sich daun meines Erachtens hauptsächlich darum handeln,
daß im Wege der Begnadigung und der Benußung der von dem Landtage
zu erlangenden freieren Bewegung auf dem Boden der Gesetze die Ansübung
der bischöflichen Funktionen möglich gemacht wird, sei es durch die früheren
suhaber, sei es durch neue, vorausgesetzt, daß die einen wie die anderen die
Anzeigepflicht erfüllen. Eure Durchlaucht ersuche ich ganz ergebenst, das
Vorstehende unter Ueberreichung des auliegenden Verzeichnisses mündlich,
jedoch amtlich zur Kenntniß des Pronnntius bringen zu wollen, mit dem
Anheimstellen, ihm eine französische Uebersetzung davon u gebn.
Depes nrarcks an Reuß: Berlin, Mai. Eurer
arurchlchen Bunlalo vom 17. und 19. ds. — Nr. 242 " 247 — habe
ich nacheinander erhalten. Wie sich aus dem lehteren ergibt, hat wieder eine
Krenzung der Korrespondenz staktgefunden, indem die Depesche des Kardinals
Nina, welche die in Folge meines Erlasses vom 4. April geschehene Mit-
theilung des Staatsministerialbeschlusses vom 1. März beantwortet, und
mein letzter Erlaß — Nr. 350 — beide vom 14. ds. Mts. datirt sind.
Dieser Zufall ist, obwohl beide Schriftstücke den einstweiligen Verzicht auf
eine Fortsehung der Versländigungsversuche aussprechen, doch um deshalb zu
bedauern, weil meinem Erlaß Nr. 350 eine detaillirte Nachweisung der dem
Papste bielleicht nicht vollständig bekannten Maßregeln beilag, welche wir
gt. Jeh und Tag innerhalb des Spielraums, den uns die Gesebe ließen,
fen haben, um die durch den Conflikt entstandenen Bedürfnisse der
geirossen 7 Bevölkerung und die von den päpstlichen Unterhändlern kund-