Dos deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 6.) 181
losen Durcheinander, das die Berathungen der kirchenpolitischen
Commission an den Tag legen. Die „Mittheilung des hochgestellten
Diplomaten“ lautet:
„Der Neichstangler sprach sich mit lebhafter Entrüstung über die
schon öster in Scene gesetzte Farlamesntarische Intrigue", wie er es nannte,
aus, durch welche unter der Hand die Meinung verbreitet werde, als sei er
gegen das Zustandekommen des Gesees gleichgiltig. Dies tonne nach der
Veröffentlichung seiner Instructionen an den Prinzen Reuß niemand bona
licc glauben. An persönlicher Vertretung der Vorlage im Landlage fühle er
sich durch seine Gesundheit verhindert; zumal in dieser Sache mit einmali-
gem Erscheinen nichts gewonnemn werde, wenn er nicht bis zum vollen Ab-
schluß in der Commission und in den verschiedenen Lesungen mit derselben
Anstrengung thätig bleibe. Dazu sei er außer Stande. Außerdem würde
durch das Eingreifen des Reichskanzlers, nachdem er sich von allen anderen
preuhischen Geschäften zurückgezogen, der schädlichen Fiction Vorschub ge-
eistet, als ob der preußische Kirchenstreit keine territoriale, sondern eine
keichssache sei. Aber auch seine Stellung als Kanfler und sein persönliches
elbstgefühl würden ihm Vichl gestatten, sich im Landtage ebenso wie im
keichstage der Gefahr auszusetzen, daß er mit Aufwendung seiner lehten
kräfte öffentlich in den Wind rede. Im letzten Reichstage seien von den
mit Sorgfalt und Anstrengung vorbereiteten Vorlagen kaum der dritte Theil
erledigt und namentlich alle im Sinne der Steuerreform eingebrachten un-
berathen geblieben, wenn nicht abgelehnt. Durch die Entscheidung in der
Samoa-Frage fühle er seine dafür eingesehte Antorikät compromittirt, noch
mehr aber durch die Abstimmungen in der hamburgischen Frage, in welcher
er die ihm als Kanzler obliegenden nationalen Pflichten zu erfüllen strebe,
daran aber durch factiöses Parteitreiben gehindert werde. Angesichts dieser
Niederlagen, die er erlitten zu haben glaube, würde er schon jeßt sein Amt
nicdergeleg haben, wenn der persönliche Wille des Kaisers ihn davon nicht
a ohielle Jedenfalls aber liege in den Verhältnissen die Nöthigung für ihn,
si 1 den Geschäften so weit zurückzuhalten, wie ihm dies durch das
Sitcberteiimmrs. gestattet sei. In dieser Lage durch eine hervorragende
a
#d —
Betheiligung an preußischen Geschäften, von denen er sich seit zwei Jahren
erngehalten habe, erweiterte Arbeiten und Verantwortlichkeiten wiederum
auf sich zu nehmen, sei ihm nicht möglich. Auch würde er, wenn die Vor-
lage nach energischer Betheiligung seinerseits algeleom werden sollte, sich
urch einer solchen Niederlage aussezen, daß für ihn nach seinem persön-
—* Gefühl eine parlamentarische Zwangslage zum Rücktritt unabweislich
eintrete, auch selbst ohne Zustimmung Sr. Majestät des Kaisers. Eine der-
artige Lösung der so langjährigen und bedeutungsvollen Beziehungen zu
seinem Könige und Herrn widerstrebe seinem Gefühl, und wenn der König
lieber in eine Auflösung des Landtags als in den Rücktritt seines Ministers
willigen würde, so könne er bezüglich einer solchen doch die Entschließungen
derjenigen nichi präjudieiren, welche die preußischen Geschäfle in Zukunft
ohne seine Mitwirkung weiter zu führen haben würden. Den parlamenka-
rischen Geschäften gegenüber müsse er sich deshalb im einen wie im andern
Falle dieselbe Zrückhaltung auferlegen, wie während der letzten Reichstags-
session. Er werde sich in Zukunft auf die Arbeiten beschränken, welche die
auswärtigen Beziehungen bes Reichs mit sich brächten, eine Aufgabe, welche
in jedem andern großen Lande die volle Thätigkeit eines Ministers bean-
spruche. Seine Stellung dem parlamentarischen Leben gegenüber könne von
jedem andern mit demselben Erfolge ausgefüllt werden, wie neuerdings von
ihm selbst, denn weniger Einfluß auf die Ergebnisse der parlamentarischen