182 Das dentsche Reich und seine rinzelnen Glieder. (Juni 8.)
Verhandlungen, als ihm selbst zu Gebote stände, würden andere auch nicht
haben, und er sehe keine Nothwendigkeit, daß gerade er, der sich ein Recht
auf Nuhe verdient zu haben Ilaube seinen Jahren und seiner sgesundheit
Zwang anthun solle, um in fruchtlosen parlamentarischen Kämpfen seine
leyzten Kräfte zu erschöpfen. Unser parlamentarisches Leben entbehre der
Führung, brers vielmehr diese Führung liege in den Händen der Massen,
anstatt durch einen Generalstab der Intelligenz jeder Frackion geleitet zu
werden. Man frage sich bei keiner Vorlage, was zweckmäßig und dem Lande
und seiner Zukunft nüglich, sondern nur, was bei der Menge der Wähler
vielleicht populär sei. Bei den Abschähungen dieser Popularität möge viel
Irrkhümliches wirksam sein, worüber die nächsten Wahlen ja Aufklärung
Leben würden. Augenblicklich aber sei sein Eindruck, daß in manchen Re-
gionen, welche nach selbständigem Ermessen entscheiden. sollten, ein byzantini-
scher Servilismus gegen den munthmnafkichen, richtig oder falsch berechneten
Willen der Massen der Wähler die Lage beherrsche. Gegen Befürchtungen
und Fictionen würde er vergebens ankämpfen, wenn er sich überhaupt diese
Aufgabe stellen wollte. Die Dictate der Massen ohne Rücksicht auf poli-
tische Einsicht in Empfang zu nehmen, dazu genüge jeder jüngere und räft
tigere Minister, wie immer er sonst beschaffen sein möge." Die „Kö g.“
noch bei: Unser Gewährsmann und diplomatischer Jhezviewer hatte
osherrschende den Eindruck einer tiefen politischen Entmuthigung des Kanzlers
in Betreff der Möglichkeit, nach den vorliegenden Erfahrungen mit dem chigen
darlamentarifeen Deutschland „Politik“ zu treiben, weil diejenigen, welche
politisches Verständniß haben, dasselbe bereitwillig Mehrheiten unterordnen,
denen 5“ fehle. In Berlin, hat der Kanzler gesagt, halte ihn nur noch
das Bedürfniß, keine Unklarheiten darüber aufkommen zu lassen, wohin die
Verantwortlichkeit für unjere weitere iunere Entwicklung in dem Augenblick
falle, in welchem er die Führung derselben andern Händen überlassen müsse.
Wir selbst können, was die augenblicklich auf der Tagesordnung stehende
kirchenpolitische Vorlage betrifft, unsere Ansicht nicht aufgeben, daß deren
Schicksal ebenso wenig einen bestimmenden Einfluß auf die Stellung des
Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten zu üben brauche wie das
Migeschick früherer Vorlagen.
8. Juni. (Deutsches Reich.) Bundesrath: genehmigt in
erster Berathung den Antrag Preußens vom 1. ds. betr. Einbezieh-
ung des Elbstroms unterhalb Hamburg in das Zollgebiet.
8. Juni. (Preußen.) Abg.-Haus: Commission für Vor-
berathung der kirchenpolitischen Gesetzvorlage: beendigt die ersie
Lesung. Das Elaborat befriedigt im Grunde keine Partei und
wird auch von der Commission selbst nur als vorläufig angesehen.
Zuerst wollen sich nun die Fractionen unter sich und mit einander
berathen und zu verständigen suchen. Erst die zweite Lesung soll
ein practisches Resultat ergeben.
8. Juni. (Bayern.) In der Wanderversammlung der
bayerischen Landwirthe zu Würzburg referirt der hitige Agrarier
Frhr. Karl v. Thüngen-Roßbach über die vom Finanzminister ge-
plante Steuerreform, indem er davon ausgeht, daß der Grundbesitz
gegen die anderen direcken Steuern zu hoch belastet sei, mit einer
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