216 Das dentsche Reich und seinr einzeluen Glieder. (Sept. 2.)
2. September. (Deutsches Reich.) Der Jahrestag von
Sedan wird in ganz Deutschland gefeiert, nachdem die Presse in
den letzten Wochen die Frage lebhaft erörtert hatte, ob das deutsche
Volk auch auf die Gefahr hin, den westlichen Nachbar zu verletzen,
den zehnten Gedenktag von Sedan mit lauten Festen begehen oder
ob es ihn, um sein Friedensbedürfniß zu bekunden, in stiller und
geräuschloser Erinnerung feiern solle. Bis zu dem Augenblick, da
Gambetta seine Rede in Cherburg hielt, neigte sich die Waage zu
Gunsten der letzteren Ansicht, jene Rede entschied jedoch schließlich
für die erstere. Der Tag wird daher allgemein laut gefeiert. In
Dresden wird an demselben ein Siegesdenkmal in Gegenwart des
Königs und der ganzen kgl. Familie enthüllt. Der deutsche Kaiser
aber erläßt folgende Ansprache an das gesammte deutsche Heer:
„Soldaten des deutschen Heeres! Es ist mir heute ein lief em-
pfundenes Bedürfniß, Mich mit Euch in der Feier des Tages zu vereinigen,
an welchem vor 10 Jahren des allmächtigen Gottes Gnade den deutschen
Waffen einen der glorreichsten Siege der Weltgeschichte verliehen hat. Ich
rufe Denen, welche in jener Zeit schon der Armee angehörten, die erusten
Enpfindungen in die Erinnerung zurück, mit denen wir in diesen Krieg
gegen eine uns in ihren ausgezeichneten Eigenschaften bekannte Armee gingen.
ebenso aber auch die allgemeine Begeisterung und das erhebende Gefühl. daß
alle deutschen Fürsten und Völker eng verbunden für die Ehre des deutschen
Baterlandes eintraten. Ich erinnere an die ersten Tage banger Erwartung,
an die bald folgenden ersten Siegesnachrichten, an Weißenburg, Wörth,
Spichern, an die Tage vor Metz, an Beaumont, und wie endlich dann bei
Sedan die Entscheidung in eine unsere kühnsten Hoffnungen und größten
Erwartungen weit übertreffenden Weise fiel. Ich erinnere auch mit wärm-
stem Dankgefühl an die hochverehrten Männer, welche Euch in jener Ruhmes-
zeit geführt haben, und Ich erinnere endlich au die schweren, schmerzlich
betrauerten Opfer, mit denen wir unsere Siege erkämpsten. Es war eine
große Zeit, die wir vor zehn Jahren durchlebt haben; die Erinnerung an
sie läßt unser aller Herzen bis zum letzten Athemzuge hochschlagen und sie
wird noch unsere späteren Nachkommen mit Slolz auf die ? Thaten ihrer Vor-
fahren erfüllen. Wie in mir die Gefühle des tiefsten Dankes für des gütigen
Gottes Gnade und der höchsten Anerkennung — insbesondere für Alle, die
in dieser Zeit mit Rath und That hervorgelreten sind — leben, das habe
Ich ost ausgesprochen und Ihr kennt das Herz Eures Kaisers genug, um
zu wissen, daß diese Gefühle in Mir dieselben bleiben werden, so lange
Gott Mir das Leben läßt, und daß Mein letzter Gedanke noch ein Segens-
wunsch für die Armee sein wird. Möge die Armee aber in dem Bewußt-
sein des Dankes und der warmen Liebe ihres Kaisers, wie in ihrem gerechten
Stolz auf ihre großen Erfolge vor zehn Jahren auch immer Dessen eingedenk
sein, daß sie nur dann große Erfolge erringen kann, wenn sie ein Muster-
bild für die Erfüllung aller Anforderungen der Ehre und der Pflicht ist,
wenn sie unter allen Umständen sich die strengste Disciplin erhält, wenn der
leiß in der Vorbildung für den Krieg nie ermüdet, und wenn auch das
eringste nicht mißachtet wird, um der Ausbildung ein festes und sicheres
Fundament zu geben. Mögen diese Meine Worte jederzeit volle Beherzigung
finden · auch wenn Ich nicht mehr sein werde — dann wird das deutsche