Die Oesterreichisch-Ungarische Monarchir. (Juni 1.) 305
Dagegen stürmen die vereiniglen Parteien der Rechten immer hitziger
gegen den Grasen Taasfe an, um ihn zu zwingen, daß nicht nur
das Finanzministerium einem der ihrigen übertragen, sondern daß
auch die Minister Horst, Korb und Stremayr als Deutsche und
halb und halb der Verfassungspartei Angehörige zum Rücktritt ver-
anlaßt und aus ihren Reihen ersetzt werden.
1—12. Juni. (Oesterreich: Böhmen.) Der Keiser besucht
Böhmen und Mähren. Officiös wird behauptet, daß der Reise
nur militärische Zwecke zu Grunde lägen. Aber alle Welt ist über-
zeugt, daß Graf Taaffe, indem er sie in Scene setzte, ein politisches
Ziel im Auge hatte, obwohl er allerdings den Kaiser selbst nicht
begleitet. War dieses Ziel eine Förderung der Versöhnung beider
Nationalitäten Böhmens, so ist es jedenfalls kotal gescheitert.
Die Amwesenheit des Kaisers zeigt namentlich in Prag, wie tief ch
der Nationalitätenhader in den dortigen Kreisen eingewurzelt hat. Officiell
wurde bei den einzelnen Festacten zwar jede Beziehung auf die national-
politischen Derhältnife streng ausgeschlossen, und es ist bemerlenswerth, daß
zu diesem Zwecke die Stalthalterei sich veranlaßt fand, das Concept der
Rede, mit welcher " Nieger den Kaiser im cechischen Theater empfing,
vorher einer Revision zu unterziehen. Die Bezirksvertretungen der Bezirke
um Prag, die alle durchaus czechisch sind, wollten dem Kaiser in einer Audienz
den Dank für die Sprachenverordnung aussprechen, die Andienz wurde jedoch
verweigert. Demonstralionen anderer Art können aber nicht hinlangehalten
werden. So machten die czechischen Studenten beim Besuch des Kaisers im
anatomischen Institut eine höchst unpassende Demonstration. Abends werden
dieselben bei der Illumination fortgeseht, so daß sich schließlich die Poligei
genöthigt sieht, die Demonstranten zu zerstrenen. Mit einer gewissen Leiden-
schaftlichkeit gehen die beiden Parteien, die deutsche und die czechische, in
der Wahl der Farben bei den Decorationen für die Kaiserbegrüßung vor.
Die Deutschen wählten Schwarz-Gelb, die Czechen Weiß-NRoth. Es gab
chechische Kaufleute, welche schwarz-gelbe Draperien nicht mehr verkaufen
wollten und vorgaben, diese Farbe sei ihnen ausgegangen. Bei dem Besuche
des Ekablissements Ruston muß jeder der tausend Arbeiter — die Instituts-
leistung ist deutsch — eine schwarzgelbe Fahne halten, als der Kaiser sich
verabschiedet. Demonstrationen ähnlicher Trt. kann man vielfach beobachten,
selbst Kinder schwingen die rolh-weißen oder schwarz-gelben Fähnchen, die
man ihmen mitgegeben, mit einem gewissen leidenschaftlichen Affecte. Aehn-
lich wird mit Hoch- und Slavarufen demonstrirt. Bei jedem Anlasse suchen
sich Hoch= und Slavarufende demonstrativ zu überschreien. „Pokrok“ meldet,
das Ersuchen mehrerer czechischer Bezirksvertretungen, vom Kaiser i in Anudienz
empfangen zu werden sei abweislich beschieden worden, da Dr. Trojan und
Canonieus Karlach die Mitglieder benachbarter Vertreiungen einluden, sich
an der Deputation zu betheiligen, ehe sie die Verständigung, in Audienz.
empfangen zu werden, erhalten hatten. Es waren im Ganzen 110 Mit-
glieder von Bezirksvertretungen erschienen. Da deutsche Vertretungen in
dieser Deputation nicht repräsentirt waren, ersolgte die Bewilligung der
Audienz nicht, weil die Bewilligung als eine politische Demonstration ge-
deutet worden w
Aber 4# nur in Böhmen, wenn auch hier zumeist, überall im
Schulthess, Europ. Geschichtskalender. XXl. Bd. 20
—
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