Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

316 Die Oesterreichisch-Angarische Monarchie. (Oct. 7.) 
langt, wir sollen selbst das Grab des Dentschthums und des Vaterlandes 
bereiten, so sprechen wir Nein! (Die ganze Versammlung ruft stürmisch: 
„Nein!") Und so oft man an uns mit solchen Zumuthungen herantreten 
wird, wird immer als Antwort erschallen: Nein! Diese Negation werden 
wir niemals aufgeben. Wir empfehlen Ihnen die Resolution, weil wir 
Deutsche uns drei Dinge nicht schmälern lassen: Staatseinheit, Freisinigteit 
und Deutschthum. (Andauernder, lebhafter Beifall, anbalt nn - Hände- 
klatschen und Hüteschwenken; wiederholt sich ernenernde Hochr Da sich 
Niemand weiter zum Worte meldet, wird zur Abstimmung aruschse und 
die Resolution einstimmig angenommen. 
7. October. (Oesterreich.) Die Regierung (oder Graf Taaffe) 
vertheidigt ihre Politik in einem ausdrücklich als autorifirt erklärten 
Artikel des „Pesther Lloyd“ folgendermaßen: 
„Das gegenwärtige österreichische Ministerium, und insbesondere sein 
Ches, legt Werth darauf, parlamentarisch zu regieren, ohne selbst im ge- 
wöhnlichen Sinne des MWortes parlamentarisch zu sein. Das Cabinet ist 
nicht aus der Majorität des einen oder des andern Hauses hervorgegangen 
und unterscheidet sich eben darin wesentlich von der früheren Regierung, 
welche Fleisch vom Fleische, Blut vom Blute der Verfassungspartei war. 
Was unn das gegenwärtige Verhältniß des Cabineles zu den gesegebenden 
Körperschaften und deren Parteien anbelangt, so läßt es sich vielleicht fol- 
gendermaßen ausdrücken: Die Regierung weiß, daß sie des sogenannten parla- 
mentarischen Characters entbehrt, aber sie fühlt sich vielleicht gerade darum 
verpflichtet, sich siaeng an die constitutionellen Usancen zu halten. Sie rechnet 
mit der Majorität der Volk zvertretung und respectirt sie, ohne sich darum 
mit derselben zu identificiren. Die Regierung braucht die Majorität, um 
ihre Vorlagen, das Budget 2c. durchzuseben, n Niemand kann ihr einen 
Vorwurf daraus machen, wenn sie vice versa die Beschlüsse des Reichsraths 
zur Ausführung bringt. Was die sogenaunte „Mittelpartei“ anbelangt, von 
der in lebterer Zeit viel gesprochen wurde, so hält die Regierung diejelbe 
wohl für wünschenswerth, um so wünschenswerther, als die beiden großen 
Parteien der Rechten und der Linken sich schroffer gegenüberstehen denn je, 
sie hält aber den jetzigen Zeitpunkt für wenig geeignet, um eine solche Bil- 
dung zu beschleunigen. Mürde eine Mittelpartei existiren, so würde sich die 
Regierung unbedingt an dieselbe aulehnen; da jene Partei nicht vorhanden 
ist, muß die Regierung, um constitutionell sein zu können, sich auf die rechte 
Seite des Abgeordnetenhauses stützen. Die Regierung ist der Ansicht, daß 
die Miltelpartei nicht gemacht werden kann, sondern aus innerer Nothwen- 
digkeit hervorgehen müsse. Rechts und links werden sich früher oder später 
Mönner finden, welche über die politischen Tagesfragen hinweg die wirth- 
schaftlichen Interessen der Bevölkerung ins Auge fassen werden, und im 
Vrrfolge der wirthschaftlichen Action werden sich zuerst Majoritäten von 
Fall zu Fall und dann wirthschaftliche Parteien bilden, die eben wegen 
dieses ihres Characters in politischer Hinsicht eine Mittelstellung einnehmen 
werden. — Was die Nationalitäten= Frage, anbelangt, so ist die Negierung 
der Meinung, daß deren Lösung der historischen Entwicklung und den Tra- 
ditionen des Reiches entsprchen aüsf. Indem die Regierung dafür sorgt 
und auch weiter sorgen will, daß den Nationalitälen Gerechtigkeit zu Theil 
wird, daß sie Gelegenheit bekommen, ige Sprache und Literatur auszubilden, 
hofft sie in denselben auch das Gefuh l der Zusammengehörigkeit lebhafter 
anzufachen und sie auch für jenen Ge#mien der Reichseinheit zu gewinnen, 
an dem sie (die Regierung) selbst festhält und unter allen Umständen fest-
	        
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