Erankreich. (Jan. 16.) 369
Linken zugeschrieben wird. Im Senat scheitert der Plan der Rechten,
Jules Simon auf den Präsidentenstuhl zu erheben, seinem Antipoden
Gambetta also direct gegenüberzustellen und ihn so immer mehr zu
sich herüberzuziehen: Marcel wird wieder gewählt.
Die nächsten Arbeiten der Kammer betreffen das Zollgesetz, die Am-
nestiefrage bezüglich der Communards, die Gesehvorlagen über den Ober-
unterrichtsrath und über das höhere Unterrichtswesen. Am bestrittensten ist
außer dem Art. 7 des letteren (die Frage der Jesuiten und der Congrega-
tionen) die Amnestiefrage. Der Präsident der Republik und das Ministerium
sind gegen den Erlaß einer Amnestie. Grévy will selbst von dem ihm an-
vertrauten Gnadenrechte nur einen mäßigen Gebrauch machen. Er, der ganz
auf democratischem Boden steht und als Präsident der Republik jelbst seine
Prärogative dort nicht zur Anwendung bringen will, wo es nur den An-
schein haben könnte, als wolle er die Stimme der Nation übertäuben, hält
jene Menschen, die sich hegen dieselbe empörten, so lange für der Verzeihung
unwürdig, als sie sich nicht dem Ausspruche des Volkes unterworfen haben.
Die Führer der Commune, welche noch heute ihre Nevolte vertheidigen, ja
dieselbe zu erneuern das Recht aufprechen, will er nicht begnadigen, nicht
weil sie zu fürchten sind, sondern. weil sie der Wiedererlangung der Bürger-
rechte nicht würdig erscheinen. Die Stimmung im Lande ist auf seiner Seite.
16. Jannar. Das Ministerium Freycinet legt beiden Kam-
mern eine Erklärung über die von ihm ins Auge gefaßte Politik
vor, ein Arbeits= oder Sachprogramm, ohne sich auf allgemeine
theoretische Grundfätze einzulassen, wie sie dieser oder jener Fraction
der Kammern entsprechen möchten. Die Erklärung lautet:
echsel im Ministerium, welcher mit dem Beginn der neuen
Session zufammenfüällt, bezeichnet kein Verlassen der klugen und maßvollen
Politik, welche im Innern wie nach Außen der Lage Frankreichs entspricht;
er bezeichnet auch keine Veränderung in den Beziehungen der verschiedenen
Fractionen der republicanischen Majorität, deren Einigkeit und aufrichtige
Harmonie dem Wohle des Landes so nützlich sind als jemals. Der Wechsel
zeigt blos an, daß, Dank dem gewonnenen Boden und der erprobten Festgeet.
unserer Inslitutionen, Frankreich von nun an auf dem Wege der nöthigen
Reformen und der allmäligen Verbesserungen mit Entschiedenheit voran-
schreiten kann. Um diese ohne Ueberstürzung und ohne Schwachheit zu ver-
wirklichen, wenden wir uns an Sie und zählen auf Ihre machdrücklice und
thatkrästige Unterstützung. Wir haben vor uns eine gewisse Anzahl von
Fragen, welche die Ereignisse uns gestellt haben und welche nicht ohne
Schaden in der Schwebe gelassen werden können. Für jede derselben werden
wir eine Lösung vorschlagen. Was uns betrifft, die getreuen Vollzugsorgane
Ihrer Entschließungen, so werden wir uns bemühen, die Gesetze mit Mäßi-
gung, ünhrteilichteit und stets in liberalem Geiste anzuwenden. Unsere
Sorge wird es sein, der Nation die zwei unerläßlichen Güter zu verschaffen:
Ruhe und Frieden. Ohne nachzulassen in der Festigkeit werden wir ver-
söhnlich sein, weil wir nicht ausschließen, sondern vereinigen, und weil wir
eine Republik gründen wollen, in welche alle Franzosen allmälig ihren
Eintritt bewersstelligen können. In dieser edlen Tufg abe werden Sie uns
unterstützen. Auch Sie werden darnach streben, d geselzgeberisches Werk
in einer Weise zu vollenden, daß, wenn Sie aus Ziel gelangt ian und
einerseits die Fragen, die wir aufzählten, gelöst, andererseits die Geister zur
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