Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

380 Franbreich. (April 5—8.) 
licher Genossenschaften in Frankreich gar nicht einmal vorgesehen. Man 
habe zur Zeit der Entstehung des Concordats anerkannt, daß sie nicht zu 
dem Wesen der Kirche gehörten und anßerhalb ihrer Hierarchie. stünden, 
daher auch nur auf Grund einer besonderen Ermächtigung der öffentlichen 
Gewalt existiren könnten. Die Regierung achte die Lage aller anerkannten 
Congregationen, wolle sich aber streng auf dem Boden des Concordats hallen. 
Ebenso ambegründet sei der Vorwurf, daß sie eine Classe von Bürgern ver- 
folge. Die Mitglieder der aufgelösten Congregationen würden sich lediglich 
in die Lage der anderen Bürger zurückversetzt finden und dieselben Rechte 
genießen, wofern sie sich nur den Geseben unterwürfen. Es könne unmög- 
lich eine Verfolgung genannt werden, wenn man ihnen nicht gestatte, was 
allen Anderen verbolen fei. 
5. April. Der bonapartistische Prätendent, Prinz Napoleon, 
ertlärt in einem offenen Briefe unumwunden seine Zustimmung zu 
den Märzdecreten und spricht sich gegen die Verbindung mit der 
legitimistisch-elericalen Partei aus: 
„Es gibt keine Gemeinschaft zwischen den Legitimisten, welche gegen 
das Jahr 1789 conspiriren, und zwischen uns, zwischen den Männern der 
weißen Fahne und denen, welche der nationalen Fahne treu sind. Es ist 
Zeit, daß Jeder die Farben seiner Tradition und seiner Grundsähe wieder 
bekenne, und daß die Zweideutigkeiten aufhören. Von allen Arten, nicht 
mehr wir selbst zu sein, wäre die unheilvollste diejenige, welche uns vor 
den Augen der Nation solidarisch mit den Hoffnungen des alten Regimes 
machte und uns verleitete, die & Gesetzgebung, deren Urheber Napoleon ist, zu 
verleugnen, und uns zu Gehilfen der auf alle Zeiten verurtheilten Partei 
stempelte, welche die Religion dazu erniedrigt, das Werkzeug der Leiden- 
schaften und der Berechnungen einer reactionären Politik zu sein, die der 
Civilisation, dem Gewissen und der wahren Freiheit feindlich ist.“ 
6. April. Der Senator Leon Say wird von der Regierung 
an Stelle des Admirals Pothuau als Botschafter nach London ge- 
sandt mit der Aufgabe, einen Handelsvertrag mit England einzuleiten. 
Die Wahl ist ein bedeutungsvoller Schritt der Regierung. Leon Say 
ist gemäßigter Freihändler. „Die europäische Reaction in der Handelspolitik 
ürfte in Frankreich zu ihrem Abschlusse gelangen oder auf Schwierigkeiten, 
die schwer zu umgehen sein werden, stoßen. Siegen auch in Frankreich die 
Schutzzöllner, so ist die Continentalsperre gegen die Freihan belsgrundsäte 
fertig. Die Schutzzöllner täuschen sich nicht über den Zweck und und die Trag- 
weite der Mission des Herru Leon Say in London: ein diplomatisches fait. 
accompli gegen sie herzustellen. Ohne Zeilverlust richten sie an die beiden 
Häuser des Parlaments eine Petition, worin sie verlangen, daß alle Ver- 
tragsunterhandlungen unterbleiben, solange nicht der allgemeine Tarif zu 
Stande gebracht worden. Sie gehen noch weiter, indem sie verlangen, daß 
ein „mehrjähriges Experiment“ mit dem verkündeten Tarif allen Vertrags- 
unterhandlungen voraus. ugehen habe, was einer zeitweiligen Abweisung 
aller Handelsverträge gleichkäm in der Kammer wird inzwischen der 
Tarifeutwurf des sch Alnlinerisäzen Ausschuftes durch die Regierung und 
die Mehrheit ztemrich freisinnig verbessert. 
8. April. Die Bischöfe fangen an, einer nach dem andern, 
gegen die Märzdecrete zu protestiren, allen voran Bischof Freppel 
in Angers. 
 
	        
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