Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

Uebersicht der polilischen Enlwicklung des Jahres 1880. 531 
genommenen directen Verhandlungen zwischen Griechenland und der 
Pforte hatten zuerst in Prevesa und nachher in Konstantinopel zu 
keinem Resultate geführt. Die Pforte sah nicht ein, warum sie 
Griechenland, dem sie keinen Dank schuldig zu sein glaubte, nur 
darum, weil es sie in ihrer Noth nicht auch noch angegriffen hatte, 
und dem sie sich an Macht immer noch weit überlegen fühlte, aus 
freien Stücken einen irgend erheblichen Theil ihres Gebietes abtreten 
sollte, hatte die Frage dilatorisch behandelt und gedachte dasselbe 
höchstens mit einer Kleinigkeit abzufinden. Griechenland hatte daher 
zu Anfang des Jahres 1880 die Unterhandlungen ganz abgebrochen 
und sich an die Mächte gewandt. Seine Aussichten waren indeß 
damals nichts weniger als günstig. Rußland war den Griechen, 
die ja auf der ganzen Balkanhalbinsel die Rivalen der Slaven sind 
und ihre Augen für die Zukunft selbst auf Konstantinopel zu richten 
wagten, im Herzen nichts weniger als günstig gesinnt, England that, 
so lange die Tories am Ruder waren, wenig oder nichts für sie, 
obgleich es England gewesen war, das sie in den peinlichen Tagen 
von Plewna abgehalten hatte, der Türkei den Krieg zu erklären, 
Oesterreich hielt jede weitere Schwächung der Türkei für seine Inter- 
essen für bedenklich und Deutschland, dem die Sache an sich gleich- 
giltig war, ging mit Oesterreich. Nur Frankreich hatte sich jederzeit 
Griechenlands warm angenommen und England konnte daher, wenn 
es diesen Punct aus den zahlreichen Fragen, welche die eine orien- 
talische Frage in sich begreift, herausgriff, um sie einer endlichen 
Erledigung zuzuführen, darauf zählen, wenigstens von Frankreich 
von vorneherein lebhaft unterstützt zu werden. 
England täuschte sich auch in seinen Erwartungen nicht. Im 2ie 
Laufe des Mai verständigten sich die Mächte darüber, die griechischesereiner 
Grenzerweiterungsfrage auf einer Conferenz in Berlin durch ihre seren. 
dort beglaubigten Botschafter, von der die Vertreter sowohl der 
Pforte als Griechenlands ausgeschlossen sein sollten, zu berathen 
und, soweit es Europa betreffe, zur Entscheidung zu bringen. Die 
Conferenz trat am 14. Juni unter dem Vorsitze des Fürsten Hohen- 
lohe, als dem Vertreter Deutschlands, zusammen. Sie arbeitete so 
schnell, daß schon am 1. Juli die Schlußsitzung stattfinden und die 
Collectivnote an die Pforte und Griechenland festgestellt werden 
konnte. Frankreich erwies sich in den Verhandlungen den griechi- 
schen Wünschen wie schon auf dem Berliner Congreß befonders gün- 
stig und stellte die Anträge, England unterstützte sie und die übrigen 
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