Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

Uebersicht der polilischen Entwichlung des Jahres 1880. 533 
schon bisher entgegen getreten war, die Ansprüche Montenegros und 
die Wünsche der Mächte zu befriedigen, erhob sich auch alsbald wie- 
der gegen diesen neuesten Vorschlag. Kaum hatten sie davon Kunde 
erhalten, so warfen die Albanesen einen Theil ihrer Streitkräfte 
nach Dulcigno und setzten sich daselbst neben der türkischen Be- 
satzung fest. Die Pforte griff daher neuerdings zu ihrem beliebten 
Verschleppungssystem. Bald schickte sie frische Truppen nach Seu- 
tari und schien den Albauesen den Meister zeigen zu wollen, bald 
stellte sie wieder Bedingungen, von denen sie die Abtretung abhängig 
machte, und ermüdele die Mächte dergestalt, daß sie ihr schließlich 
eine Frist von drei Wochen setzten, binnen welcher sie Duleigno ab- 
zutreten hätte, widrigenfalls die Mächte Montenegro zu einer ge- 
waltsamen Besetzung der Stadt behilflich sein würden. Die Frist 
verstrich indeß, ohne daß das mindeste geschah. Da riß den Mächten Tie eu- 
der Faden der Geduld und sie giengen auf den schon seit einiger'gdae 
Zeit von England gemachten Vorschlag ein, durch eine gemeinsame demon- 
Flottendemonstration ihrem Begehren Nachdruck zu geben und den strotion. 
ewigen Zögerungen der Pforte ein Ende zu machen. Jede der sechs 
Großmächte schickte zwei oder drei Kriegsschiffe ins adriatische Meer: 
als die ersten von allen fanden sich die russischen Schiffe ein, bald 
kamen auch die anderen und schon am 20. September war die ganze 
stattliche Flotte in der Bucht von Gravofa beisammen und über- 
nahm der englische Admiral Seymour als der älteste den Oberbefehl 
über dieselbe. Die Einigkeit der Mächte schien eine vollständige 
und man mußte annehmen, daß sie nunmehr vollkommen in der 
Lage seien, die Pforte zu zwingen, sich ihrem Willen rasch und 
gänzlich zu fügen. Allein nichts von alle dem war wirklich der 
Fall und man ist fast genöthigt, anzunehmen, daß die Mächte nicht 
recht wußten, was sie eigentlich wollten. Nur die russischen Schiffe 
hatten Landungstruppen an Bord, nur der englische Admiral hatte 
Vollmachten, eventuell auch zu Gewaltmitteln zu greifen, die öster- 
reichischen und deutschen Schisse hatten dagegen keinerlei Instructio- 
nen dazu, den französischen verboten es die ihrigen sogar ausdrück- 
lich und die italienischen waren lediglich angewiesen, mit den Be- 
fehlshabern der anderen Mächte gemeinsam zu operiren. So war 
das sog. europäische Concert nur ein scheinbares: der ganze gewal- 
tige Apparat sank zu einer bloßen Demonstration zusammen. Die 
Pforte war von den divergirenden Dispositionen der Mächte voll- 
ständig unterrichtet und ließ sich daher durchaus nicht einschüchtern.
	        
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