Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

534 Aebersichi der politischen Eulwichlung des Jahres 1880. 
Diese Lage der Dinge trat denn auch alsbald handgreiflich an den 
Tag. Kaum war die Flotte beisammen, so wurde in Cettinje Kriegs- 
rath gehalten und der englische Admiral verfügte sich selbst dahin, 
um an demselben theilzunehmen. Da Montenegro seine Streitkräfte 
bereits aufgeboten hatte und bereit hielt, so wurde beschlossen, daß 
es am 27. September sich Dulcignos gewaltsam bemächtigen sollte. 
Allein der türkische Pascha in Scutari hatte von Konstantinopel 
keinerlei Befehl erhalten, die Stadt zu übergeben oder auch nur den 
Montenegrinern freie Hand zu lassen. Kein Befehl war für ihn 
aber auch ein Befehl. In aller Stille hatte er sich daher mit den 
Albanesen verständigt und seine Truppen in der Nähe von Dulcigno 
zusammengezogen: Türken und Albanesen zusammen waren aber den 
Montenegrinern an Zahl überlegen und Riza Pascha erklärte nun- 
mehr den letzteren schlankweg, daß er Gewalt mit Gewalt abzutreiben 
wissen werde. Die Montenegriner hatten nun ihrerseits keine Lust, 
sich möglicher Weise ganz nutzlos Angesichts der europäischen Flotte 
von Türken und Albanefen zusammenhauen zu lassen und verlangten 
die active Cooperation der Flotte. Diese mußte ihnen in Folge 
der mangelnden oder nicht übereinstimmenden Instructionen der 
Admirale abgeschlagen werden und nun verzichteten die Montene- 
griner ihrerseits darauf, Dulcigno allein anzugreifen. Die Demon- 
strationsflolte fing an, eine geradezu lächerliche Rolle zu spielen. 
Jetzt trat wiederum die Pforte ein und versprach den Mächten, bis 
zum 3. oder 4. October auf alle ihre Begehren eine bestimmte Ant- 
wort zu ertheilen; bis dahin möchte man ihr eine neue Frist ge- 
währen, und die Mächte mußten wohl oder übel darauf eingehen 
und sich gedulden. Unter dem 3. October erfolgte die Antwort 
auch wirklich, aber die Pforte ging in derselben über ihre früheren 
Anerbieten sowohl bezüglich der griechischen als bezüglich der mon- 
tenegrinischen Grenzfrage auch nicht um den kleinsten Schritt hinaus, 
obgleich dieselben längst und wiederholt als völlig ungenügend zu- 
rückgewiesen worden waren. Es schien beinahe, als ob sich die Pforte 
über Europa lustig machen und die Mächte zu Narren haben wollte. 
Dieses tolle Benehmen erregte daher nicht ohne Grund in London 
und Paris einen förmlichen Sturm der Entrüstung und verstimmte 
wenigstens lebhaft in Wien und Berlin. In London erkannte man 
jetzt, daß die Flottendemonstration ein unglücklicher Gedanke ge- 
wesen sei, der als Demonstration nur einen Sinn gehabt hätte, 
wenn die europäische Flotte, statt unthätig in Gravofa zu paradiren,
	        
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