Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

Belgien. 
5900 Uebersicht der polilischen Enlwichlung des Jahres 1880. 
rechts wie von links zu verhindern. Eben darum war seinem Re- 
giment vorerst kein Ende abzusehen. Befriedigt davon war indeß 
die Nation jedenfalls nicht und ob es der junge König, obgleich er 
Canovas seinen Thron verdankt, sei, wurde vielfach bezweifelt. Be- 
merklich machte sich 1880 Spanien durch nichts und in keiner 
Weise. 
Anders das kleine Belgien, dem es beschieden war, ein sehr 
bewegtes, theilweise stürmisches Jahr durchzumachen. Das im vorigen 
Jahr von der Regierung Frere Orban vorgeschlagene und von beiden 
Kammern beschlossene Schulgesetz, das, ähnlich wie seither in Frank- 
reich, dazu bestimmt war, das öffentliche Unterrichtswesen der bisher 
ausschließlichen Herrschaft der Kirche zu entreißen und für den Staat 
zu revindicieren, hatte Belgien mit Einem Schlag aus seinem bis- 
herigen Stillleben herausgerissen. Die Bischöfe und der ihnen ganz 
ergebene Clerus erhoben dagegen eine geradezu maßlose Opposition, 
erklärten das Gesetz für „gottlos“ und setzten der staatlichen Schule 
in jeder Ortschaft, in jedem Dorfe eine clericale entgegen. Der Krieg 
wurde damit in jedes Dorf, in jede Familie getragen; der Episcopat 
hielt offenbar jedes Mittel für erlaubt, um die „gottlose“ Regierung 
zu bekämpfen, zu unterwühlen, zu stürzen. Gegen das Uebermaß 
ihrer Leidenschaft wandte sich Frere Orban an den Papfst selbst und 
dieser schien einen Augenblick darauf eingehen und den Zornesmuth 
der Bischöfe einigermaßen zügeln zu wollen. Die Bischöfe ließen 
sich aber nicht zügeln und es zeigte sich bald, daß der Papst nur 
mit der Form ihres Vorgehens nicht ganz einverstanden war, in 
der Sache selbst aber völlig auf ihrer Seite stand und wie sie die 
Schule ganz und ausschließlich für die Kirche in Anspruch nahm. 
Sobald dieß unzweifelhaft vorlag, griff Fröre Orban, ganz im Ein- 
klang mit der belgischen Verfassung, welche die vollständige Trennung 
zwischen Staat und Kirche ausspricht, zum äußersten Mittel gegen- 
über der clericalen Partei: er rief den belgischen Gesandten beim 
Papst ab und schickte dem Nuntius desselben in Brüssel seine Pässe 
zu. Zugleich veröffentlichte er die ganze Correspondenz mit dem 
Papst, dem Nuntius und den Bischöfen, welche die Zweideutigkeit 
der Curie klar legte. Wenn Frere Orban fest bleibt, woran nicht 
zu zweifeln, und wenn die Kammern ihm wie bisher unentwegt 
zur Seite stehen, was freilich weniger sicher ist, so kann der endliche 
Ausgang des Kampfes und der Sieg des Staats kaum zweifel- 
haft sein.