114 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 28—29.)
besteuern uns scheuten; denn bei Branntwein wird wahrscheinlich bei der
verbotähnlichen Verzollung der Einfuhr die Preiserhöhung den armen
Mann als Consumenten treffen. In Rußland kostete zu meiner Zeit das
Quart, ich weiß nicht, Branntwein oder Spiritus, etwas wie 25 Sgr. nach
unserem Geld, ungerechnet die Cursdifferenz Das wäre für den armen
Mann ein hoher Preis, da er des Branntweins, wie gesagt, bedarf, in
mäßigem Grade zwar, aber doch zur Ernährung bedarf, ein kleines tägliches
Quantum, da seine Mittel ihm bayerisches Bier und Wein nicht gewähren.
— Ferner hat der Herr Vorredner angeführt, daß wir die Erbschaftssteuer
nicht in Angriff genommen hätten. Ja, meine Herren, ich bin nicht Finanz-
minister, ich habe seit vielen Jahren die Entwickelung der Stempelsteuer-
gesetzgebung befürwortet und der Herr Vorredner hat auch darin sich in
einem Irrthum befunden. Ich möchte ihn überhaupt bitten, da er doch
sonst ein so scharfer Jurist ist, nicht so viel auf den Indizienbeweis einzu-
gehen; er würde gegen keinen Schurken von Verbrecher so viel Indizienbe-
weis anwenden als einem Minister gegenüber. Das geringste Indizium
reicht hin, um einen Minister im bedenklichen Licht erscheinen zu lassen,
was er einem halb überführten Verbrecher gegenüber aus richterlicher Un-
parteilichkeit ignoriren würde. Also die Anregung meines früheren Herrn
Collegen Camphausen über die Stempelsteuer — er ist leider in dieser Ver-
sammlung nicht anwesend, aber wenn er anwesend wäre, würde ich auf sein
eigenes Zeugniß provociren und das Ergebniß davon würde sein, daß jede
Anregung einer Revision der Stempelsteuer, so lange ich Minister bin, auch
unter dem Minister Bodelschwingh entweder von mir ausgegangen ist oder
meine lebendigste Unterstützung gefunden hat. Ich kann die einzelnen Vor-
gänge — ehe der Herr Vorredner seine Rede hielt, hat er die Acten durch-
gesehen, ich aber nicht — nicht in meinem etwas überlasteten Gedächtniß
behalten, ich bin aber ganz gewiß, weil ich meiner eigenen Ueberzeugungen
sicher bin, daß ich jederzeit auch die leiseste Anregung, der Stempelsteuer
näher zu treten, stets grundsätzlich geschont, gepflegt und gefördert habe, und
daß die Anregungen dazu meistens auf meine Initiative und auf meine Ein-
wirkung auf den Finanzminister zurückzuführen sind. Auch da hat der Herr
Vorredner mich wieder in ein übles Licht versetzt, ohne daß ich es verdiene
und ich hoffe, seine Gerechtigkeitsliebe, da er ja doch Jurist ist, wird ihn
bewegen, das zurück und von mir abzunehmen und selbst einzugestehen, daß
er wieder etwas durch seine weittragende Stimme in die Oeffentlichkeit ge-
bracht hat, was mit der Wahrheit nicht übereinstimmt. — Der Herr Vor-
redner hat die Frage ausgeworfen, wozu wir die neuen Steuern überhaupt
wollten. Ich habe sie in einem Punkte, indem ich das Zerrbild beleuch-
tete, mit dem er schloß, schon beantwortet: für Zwecke, die diesem Reichs-
tage noch nicht vorliegen, für die wir uns aber bei Zeilen die öffentliche
Meinung sicher stellen wollen, und wir haben auch die Absicht, den Wählern
damit zu sagen, wer für diese Zwecke, die wir hier angeführt haben, den
Gemeinden die Schullasten, die Armen-, die Polizeilasten und die Standes-
lasten zu erleichtern, wer für den Zweck der Alters und Invalidenversor
gung wirken will, wird wohl thun, jemand zu wählen, von dem er erwartet,
daß er die Bestrebungen der Regierung unterstützt, und wer von den Wäh-
lern das nicht will, der wird allerdings wohl thun, wenn er jemand wählt,
der den Widerstand der Fortschrittspartei gegen die Regierung unterstützt.
Daß wir darüber den Wählern Klarheit geben, ehe die Wahlen kommen,
und recht häufig und recht oft, das halte ich nicht nur für das Recht der
Regierung, sondern für die Pflicht der Regierung: der Wähler hat ein Recht,
zu wissen, wohin die Regierung hinaus will, und deshalb wollen wir das,
wie man sagt, recht breit treten, damit für jedermann verständlich und klar