Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Aug. 9—10.) 225 
von der Regierung die endliche und vollständige Beseitigung des 
kirchenpolitischen Conflictes fordern, welcher Kirche und Staat in 
gleicher Weise schädigt, und die Wiederherstellung des innern Friedens ver- 
hindert. Wer nicht von dem festen Willen beseelt ist, den Krebsschaden des 
Culturkampfes zu heilen und die der freien Wirksamkeit der Kirche und der 
Schule entgegenstehenden Hindernisse wegzuräumen, verdient nicht, in einer 
deutschen Volksvertretung, sei es Landtag oder Reichstog, zu sihen. 2) Nicht 
weniger erfordert die wirthschaftliche Lage ernsie,. Beachtung. Soweit die 
Politik der Reichsregierung darauf gerichtet ist, die Schäden einer ver- 
fehlten Geseygebung zu verbessern, kann dieselbe auf unsere nachdrück- 
un Unterstützung rechnen. Staatssozialistischen Bestrebungen, welche 
nur geeignet sind, alle selbständigen gesellschaftlichen Kräfte in Familie, Ge- 
meinde und Kirche zu lähmen und der Verwirklichung grundftür ender Lehren 
das Feld zu bereiten, werden wir entschiedenen Widerstand entgegensetzen. 
Zu einer Bewilligung neuer Steuern sind unsere Erwerbsverhältnisse in 
keiner Weise angekhan, zunächst bleibt das volle Erträgniß der im Jahre 1879 
bewilligten Schutz= und Finanzzölle abzuwarten. Sollte später eine weitere 
Ausbildung des indirecten Steuersystems sich empfehlen, so muß durchaus 
auf einer entsprechenden, gleichzeitigen Entlastung von directen Steuern be- 
standen werden. Das beste Mittel, das Gleichgewicht zwischen Einnahmen 
und Ausgaben zu sichern, bleibt bie Herbeiführung von Ersparnissen 
namentlich in der Militärverwaltung.“ 
9. August. (Preußen.) Der Regierungspräsident von Gum- 
binnen, v. Schlickmann, wird zum Unterstaat'secretär im Ministe- 
rium des Innern ernannt. Der Oberpräsident von Hessen-Nassau 
hat, wie es scheint, nicht ganz freiwillig seine Entlassung eingegeben 
und erhalten. 
10. August. (Deutsches Reich.) In der bereits in vollem 
Zuge befindlichen Wahlbewegung fordert die „Nat.-Ztg.“ von der Re- 
gierung ein klares, bestimmtes, im Einzelnen faßbares Programm. 
Die halbamtliche „Prov.-Corr.“ findet die Forderung unverständlich 
und weist auf die Vorlagen des Reichskanzlers im Reichstage und 
im preußischen Landtage hin. Die „National-Zeitung“ und die 
ultramontane „Germania“ erklären dieß jedoch gleicherweise für 
völlig ungenügend. 
  
Prov.= p.: „Es sind seitens der Regierung in hinreichendem 
Maße klärende Hreignisse, in Gestalt von Vorlagen und anderweitigen 
Aeußerungen erfolgt, so daß das Land darüber wahrlich nicht mehr in 
Zweifel sein kann. Und dennoch soll „auch nicht der Schatten eines Pro- 
gramms vorhanden sein!“ Das „Programm= liegt zwar nicht formell in 
einem verfassungsmäßigen Actenstück vor; aber es ist in zahllosen Kund- 
gebungen enthalten, und in den weitesten Kreisen gilt dasselbe mit Recht 
als der Prüfstein der Gesinnung und Stellung zu der Gesammtpolitik des 
Kanzlers überhaupt. Eine Unklarheit in dieser Beziehung sollte man kaum 
noch für möglich halten. Es gilt jetzt — um es hier in kurzen, wenn auch 
nicht erschöpfenden Worten zu wiederholen — eine nationale Wirbergebnr) 
und innere Erstarkung Deutschlands auf gesunden wirthschaftlichen Grund= 
lagen, die wirthschaftliche Unabhängigkeit Deutschlands vom Auslande, die 
Stärkung der Finanzkraft des Reiches durch eine gerechtere Vertheilung der 
Schulthess. Europ. Geschichtslalender. XXII. Bd. 15
	        
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