Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

280 PLas beulsche Reich und seine einzeluen Gliedrr. (Nov. 17.) 
Verständigung nicht hat erreicht werden können. Die geschäftliche Nothlage 
der Regierungen und die Nothwendigkeit, den Verhandlungen der gesetz- 
gebenden Körper des Reiches sowohl wie der Einzelslaaten die unenkbehrliche 
eit und freie Bewegung zu sichern, veranlaßt die verbündeten Regierungen 
der Beschlußnahme des Reichslages wiederum eine entsprechende Vorlage zu 
unterbreiten. — Schon im Februar dieses Jahres haben Wir Unsere Ueber- 
Jeugung ausfprechen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht 
ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, 
sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Ar- 
beiter zu suchen jein werde. Wir halten es für Unsere kaiserliche Pflichl, 
dem Reichstage diese Aufgaben von neuem ans Herg zu legen, 
und würden mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, 
mit denen Gott Unsere Regierung sichtlich gHaeguet hat, zurück- 
blicken, wenn es Uns gelänge, dereinst das Bewußtsein mitzu- 
nehmen, dem Vaterlande neue und dauernde Bürgschaften seines 
inneren Friedens und den Hilfsbedürftigen größere Sicherheit 
und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben, 
zu hinterlassen. In Unseren darauf gerichteten Bestrebungen sind Wir 
der Zustimmung aller verbündeten Regierungen gewiß und vertrauen auf 
die Unterstützung des Reichstags ohne Unterschied der Parteistellungen. In 
diesem Sinne wird zunächst der von den verbündeten Regierungen in der 
vorigen Session vorgelegte Entwurf eines Gesehes über die Verss icherung 
der Arbeiter gegen Bekriebsun fälle mit Rücksicht auf die im Reichs- 
tag statlgehabten Verhandlungen über denselben einer Umarbeitung unter- 
zogen, um die ernente Berathung desjelben vorzubereiten. Ergänzend wird 
ihm eine Vorlage zur Seite treten, welche sich eine gleichmäßige Organi- 
sation des gewerblichen Krankencassenwesens zur Aufgabe stellt. 
Aber auch diejenigen, welche durch Alter oder Inval idität erwerbsun- 
fähig werden, haben der Geiammtheit, gegenüber einen begründeten Anspruch 
auf ein höheres Maß staatlicher Fürsorge, als ihnen bisher hat zutheil 
werden können. Für diese Fürsorge die rechten Miltel und Wege zu finden, 
ist eine sshwierig, aber auch eine der höchsten Aufgaben jedes Gemeinwesens, 
welches auf den siltlichen Fundamenten des christlichen Volkslebens sleht. 
.Der engere Anschluß an die realen rääfte dieses Volkslebens und das Zu- 
sammeufassen der letzteren in der Form corporativer Genossenschaften unter 
staatlichem Schuß und staatlicher Förderung werden, wie Wir hoffen, die 
Lösung auch von Aufgaben möglich machen, denen die Staatsgewalt allein 
in gleichem Umfange nicht gewachsen sein würde. Immerhin aber wird auch 
auf diesem Wege das Ziel nicht ohne die Aufwendung erheblicher Mittel 
zu erreichen sein. — Auch die weitere Durchführung der in den letten 
Jahren begonnenen Steuerreform weist auf die Eröffnung ergiebiger 
Einnahmequellen durch indirecte Reichssteuern hin, um die Regierungen in 
den Stand zu setzen, dafür drückende directe Landesstenern abguschaffen und 
die Gemeinden von Armen= und Schullasten, von Zuschlägen zu Grund- 
und Personalsteuern, und von anderen drückenden directen Abgaben zu ent- 
lasten. Der sicherste Weg hichu liegk nach den in benachbarten Ländern * 
machten Erfahrungen in der Einführung des Tabakmonopols, über 
welche Wir die Entscheidung der gesebgebenden Körper des Reiches herbeizu- 
fühlen beabsichtigen. Hiedurch und demnächst durch Wiederholung früherer 
Anträge auf stärkere Besteuerung der Getränke sollen nicht finanzielle 
Ueberschüsse erstrebt werden, sondern die Umwandlung der bestehenden directen 
Staats= und Gemeindelasten in weniger drückende indirecte Reichssteuern. 
Diese Bestrebungen sind nicht nur von fiscalischen, sondern auch 
von reackionären Hintergedanken frei; ihre Wirkung auf politischem 
 
	        
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