312 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dec. 15—17.)
zu arbeiten beginnt und, wie der Herr Minister sich ausgedrückt hat, ihm
Hilfe und Unterstützung leiht. Allein dieses System in Deutschland einzu-
führen, das wird glaube ich, nicht gelingen. Noch gefährlicher ist es, wenn
der Herr Minister nicht bloß sich, sondern die erhabene Person des Monarchen
in diesen Wahlkampf, in einen Wahlkampf von höchster Leidenschaftlichkeit
mit hineinzuziehen sucht. Meine Herren, wir haben in Deutschland bislang
geglaubt, daß, wenn eine Staatsregierung und ihre Maßregeln heftig ange-
griffen werden, sie sich da schützend vor den Monarchen stellen sollte, der
vielleicht unter diesen Angriffen mit leiden könnte; — aber meine Herren,
daß eine angegriffene und gefährdete Regierungspolitik den Schild der Person
des Monarchen für sich in öffentlicher Reichstagsversammlung in Anspruch
zu nehmen wagt, das haben wir noch nicht für möglich gehalten! Meine
Herren, dagegen lege ich, wie ich bebaupte, nicht bloß im Namen meiner
Freunde und der ganzen liberalen Seite des Reichstags, nein, im Namen,
wie ich das fest annehme, vieler Personen aus anderen Parteien Verwahrung
ein, daß ein solcher Versuch gemacht ist, ein Versuch, der zu den bedenk-
lichsten Folgen führen kann!“ Minister v. Puttkamer antwortet darauf
sofort: „Ich habe mich gefreut, daß der Herr Abgeordnete von Bennigsen
wenigstens so weit gegangen ist, anzuerkennen, daß es einem Beamten nicht
wohl ansteht, directe tendenziöse Opposition gegen die Regierung zu machen.
Er ist aber hierbei stehen geblieben, er hat hier die Grenze gezogen und mit
großem Nachdruck betont, ein weiteres könne die Regierung auch von den
in der politischen Verwaltung stehenden Beamten nicht verlangen. Meine
Herren, ich kann diesen Satz nicht unterschreiben! — nein; meiner Ansicht nach
gehört es zum Wesen einer monarchischen Staatsordnung, daß das Beamten-
thum einen einheitlichen Gesammtorganismus bildet auch in politischen
Dingen. Wenn da die Rede ist von Unterstützung eines bestimmten Systems,
die Rede von der Unterstützung der jeweiligen Regierung, so antworte ich
darauf einfach: die Regierung hat diejenigen Interessen zu vertheidigen, zu
deren Vertretung die Krone sie beauftragt, und von diesem Gesichtspunct bin
ich allerdings der Meinung, daß es wohl gethan ist, wenn ein preußischer
Beamter die Regierung bei Erläuterung und Verwirklichung ihres politischen
Programms unterstützt. Ich finde darin keineswegs etwas Auffallendes oder
Anstößiges, ich erblicke darin durchaus keine Velleitäten, die Herr v. Bennigsen
als aus der bonapartistischen Tradition herrührend glaubte bezeichnen zu
können; ich finde darin einfach den Ausdruck des monarchischen Princips.
Ich habe hiernach keinerlei Veranlassung, von dem, was ich gesagt habe,
irgend etwas zu modificiren.“ Der Antrag Dirichlet und Genossen wird
schließlich mit großer Mehrheit zum Beschluß erhoben.
15. December. (Preußen.) Der Diaconus Lühr in Eckern-
förde wird vom schleswig holsteinischen Landesconsistorium wegen
Aeußerungen über die Reformbedürftigkeit der Ordinationsformel
der Geistlichen nach zehnmonatlichen Verhandlungen und wieder-
holten Colloquien zu der härtesten Strafe, der Amtsentsetzung und
sofortiger Suspension vom Amt verurtheilt.
17. December. (Deutsches Reich.) Reichstag: hat die zweite
Lesung des Etats für 1882/83 fast beendigt und vertagt sich bis
zum 9. Jannar 1882.
Commission für die Vorlage betr. Hamburg: beendigt die
2. Lesung derselben. Die Bewilligung der 40 Mill. ℳ an Ham-