74 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 22.)
weniger Einkünfte zu ziehen pflegt, als aus dem Tabakbau, dem Handel
und der Industrie, und das Mißverhältnis Badens zu Württemberg dadurch
nur noch prägnanter hervortritt. Baden verliert nämlich nach den Umsatz-
ziffern je 5,4, wenn Württemberg je 1 verliert. Württemberg zöge hin-
gegen aus den Monopoleinkünften um volle 25 Proz. mehr als Baden.
22. März. (Deutsches Reich u. Preußen.) Der Kaiser
feiert unter allgemeiner Teilnahme seinen 86. Geburtstag.
22. März. (Preußen.) Der Papst ernennt den Probst
Herzog in Berlin zum Bischof von Breslau.
22. März. (Elsaß-Lothringen.) Die Handelskammer von
Straßburg erklärt sich im Prinzip einstimmig gegen das Tabak-
monopol. In der Bevölkerung beginnt sich die Stimmung für und
wider zu teilen. Doch ist die Mehrzahl für das Monopol, an das
sie gewöhnt ist. Namentlich sind es auch die tabakbauenden Bauern.
— März. (Preußen.) Die Mission v. Schlözer's nach
Rom scheint nicht die Früchte tragen zu sollen, welche der Reichs-
kanzler von ihr erwartet hat. Der Gesandte hat bis jetzt offenbar
noch gar nichts erreicht und wird von der Kurie rein dilatorisch
behandelt. Um dem Gesandten in kirchenrechtlichen Fragen an die
Hand zu gehen und ihn zu unterstützen, wird daher der Geh. Rat
Hübler, der mit diesen Fragen vertraut ist und dafür auch schon
bisher von der Regierung verwendet wurde, nach Rom geschickt.
Eine hochoffizöse Mitteilung der „Polit. Korr.“ schildert inzwischen
die Lage folgendermaßen:
„So viel steht fest, daß der Papst, gleichwie der deutsche Reichskanzler
bei den jetzigen Verhandlungen eine ganz ungewöhnliche Verantwortung
tragen und daß dieselben schon deshalb nur äußerst langsam unter dem
behutsamsten Tasten vorrücken können. Die Früchte eines Feldzugs,
wie es der Kutllrkampf war, Früchte, die, mag man sie noch so oft als
giftig bezeichnen, doch reichlich erschienen sind, setzt man nicht aufs Spiel,
wenn man nicht weiß, was man dafür erhält. Der Papst andererseits weiß
sehr wohl, welches weittragende Präzedens er schafft, wenn er dem preußi-
schen Staate auch nichts anderes bewilligt, als was anderen Staaten längst
bewilligt worden ist. Seit den großen Papstkämpfen des Mittel-
alters waren die Augen der Welt niemals auf einen Streit
zwischen Staat und Kirche mit solcher Spannung gerichtet, wie
auf den Kulturkampf. Dies gilt selbst von dem Kampfe Napoleons I
mit Pius VII., so dramatisch derselbe war. Denn allen Napoleonischen
Aktionen gegenüber hatte die Welt das Gefühl, daß ein Schauspieler über
die Bühne schreite, der keine dauernden Spuren zurücklassen werde, daß
dasjenige, was er in Trümmer legt, sich wieder aufrichten, die Werke, die
er schafft, wieder zusammenfallen werden. Dagegen hat die Welt heute das
Gefühl, daß der deutsche Kulturkampf zu einem großen Beispiel, vielleicht
zum Typus des Verhältnisses zwischen Rom und den heutigen Staaten wer-
den kann. Dabei bleibt immer der Vorbehalt in Geltung, daß etwas an-
deres als ein sogenannter modus vivendi nicht zu erstreben ist,