Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 24.) 87 
Anhaltspunkte nicht überzeugen könne, daß das Monopol zu dem gewünschten 
finanziellen Ergebnis führen werde. Sie glaube deshalb, dermalen einer 
Steuerreform, durch welche sich höhere Erträgnisse aus dem Tabak ohne 
tiefgreifende vollswirtschaftliche Rückwirkungen erzielen lassen, den Vorzug 
geben zu sollen.“ Sachsen stimmt „in Hinblick auf die schweren volkswirt- 
schaftlichen und sozialen Bedenken dagegen“. Baden, Hessen, Oldenburg 
und Reuß j. L. betonen hauptsächlich die Schädigung der ausgebreiteten 
Tabakindustrie in diesen Staaten durch Einführung des Monopols. Bremen 
läßt ausdrücklich erklären, „daß die Einführung des Reichstabakmonopols 
notwendigerweise den wirkschaftlichen und finanziellen Ruin des Bundesstaats 
Bremen herbeiführen werde. Es sei allgemein bekannt, daß die Bedeutung 
Bremens als Handels- und Seestadt mit dem daselbst konzentrierten groß- 
artigen Tabakgeschäft so eng und unauflöslich verknüpft sei, daß die Zer- 
störung dieses wesentlich auf der Versorgung Deutschlands beruhenden, mit 
dem Bestehen eines Reichsmonopols unvereinbaren Geschäftszweiges die Exi- 
stenzgrundlagen des gesamten bremischen Handels in verhängnisvoller Weise 
erschüttern müßte.“ Der Senat bitte daher, diesem Momente das gebührende 
Gewicht beizulegen. Württemberg, Weimar und Braunschweig erklären da- 
gegen, daß die Finanzlage des Reiches und der Einzelstaaten dringend die 
Vermehrung der Einnahmen forderten und das Tabakmonopol der geeignetste 
Weg dazu sei. 
Der Reichskanzler scheint inzwischen noch keineswegs darauf ver- 
zichtet zu haben, das Monopol im Reichstag doch noch, wenn auch nicht 
sofort, vielleicht nach einiger Zeit durchzubringen und zwar hauptsächlich 
mit Hilfe der Regierungen. Eine offiziöse Beleuchtung in der „Polit. Korr.“ 
spricht sich darüber folgendermaßen aus: „Ist es denn so gewiß, wie alle 
Welt glaubt, daß der jetzige Reichstag das Monopol ablehnt? Das Zentrum 
hat sich parlamentarisch gegen das Monopol nicht verpflichtet, sondern nur 
die klerikale Presse hat sich beinahe einstimmig dagegen ausgesprochen. Aber 
die parlamentarische Fraktion kann nicht durch die Presse verpflichtet wer- 
den, um so weniger, als keines der klerikalen Blätter die Rolle des offi- 
ziellen Organes der Partei weder beansprucht, noch zugeteilt erhalten hat. 
Die Annahme, daß das Zentrum das Monopol verwerfen müsse, stützt sich 
auf den Grund, daß dasselbe eine eminent reichsbefestigende Maßregel ist. 
Das Zentrum zählt aber in seinen Reihen gewiß einen, wenn nicht mehrere 
politische Köpfe, welche folgendes zu begreifen im stande sind: Falls durch 
Vermehrung der Reichseinnahmen eine Entlastung der Einzelstaaten nicht zu 
stande kommt, falls die Einzelstaaten fortfahren müssen, mit ihrer geson- 
derten, keiner Steigerung mehr sätzigen Finanzwirtschaft neben der Last ihres 
eigenen Haushaltes die zunehmende Last der Reichsausgaben zu tragen, so 
wird schon nach einigen Jahren die Existenz der meisten Einzelstaaten mit 
Ausnahme Preußens, eine höchst gefährdete sein. Denn es ist das wohl- 
tätige Gesetz, welches im Laufe der deutschen Dinge jetzt zum Durchbruch 
gelangt ist und denselben beherrscht, daß alle Wege zur Stärkung der Ein- 
heit dienen müssen. Die Erhöhung der Reichseinnahmen erleichtert die Exi- 
stenz der Einzelstaaten, aber macht sie auch abhängig vom Reiche, welches 
in sich selbständig und fest wird. Die Überlastung der Einzelstaaten durch 
ungenügende Entwicklung der Reichsfinanzen läßt zunächst das Reich schwach, 
befördert aber in schnellem Tempo die Ungleichheit zwischen Preußen und 
den übrigen Bundesstaaten in Bezug auf die innere Haltbarkeit. Es ist 
also doch die Frage, ob die weitblickendsten unter den Zentrumsführern nicht 
den indirekten Weg zur Erweiterung der Einheit, welcher in der Trocken- 
legung der Reichsfinanzen besteht, als den gefährlicheren erkennen und sich 
deshalb entschließen, den, wenn auch unwillkommenen, so doch bei weitem 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.